Buchbesprechung: Marion Küstenmacher – Integrales Christentum. Einübung in eine neue spirituelle Intelligenz.
(Gütersloher Verlagshaus 2018)
Wachsen als Persönlichkeit – Wachsen im Glauben
Marion Küstenmacher – Urgestein im ÖAE – war eine Pionierin in Sachen Enneagramm (unvergessen ihre reiche und so treffsichere Zitatensammlung zu den neun Typen im leider vergriffenen Enneagramm der Weisheit) … und ist jetzt eine Pionierin in Sachen Bewusstsein und Spiritualität. Vor acht Jahren schrieb sie, zusammen mit zwei Theologen, das Buch Gott 9.0. Damit wurde erstmals Ken Wilbers Modell des Bewusstseins in die deutschsprachige Theologie übersetzt. Neben dessen Hauptwerk Eros, Logos, Kosmos und dem berührenden Mut und Gnade, in welchem er den Weg an der Seite seiner früh an Krebs verstorbenen Partnerin beschreibt, sind Integrale Psychologie und Integrale Spiritualität zu erwähnen; vielen, die mit dem Enneagramm arbeiten, ist sein Wege zum Selbst: Östliche und westliche Wege zu persönlichem Wachstum bekannt. Dies einige Hinweise (und zugleich Empfehlungen!) zum Hintergrund, um den es auch in Marion Küstenmachers neustem Werk geht. Nachdem einige Rückmeldungen Gott 9.0 etwas abstrakt fanden, legt sie nun ein von Leben strotzendes Praxisbuch dazu vor: Integrales Christentum. Einübung in eine neue spirituelle Intelligenz.
Umfangreich und eindrücklich. Fast erschrickt man zu Beginn etwas vor dem Wälzer, der schwer in der Hand liegt. Aber: wo auch immer man darin zu lesen beginnt, man wird sofort hineingezogen. Marions Sprache ist frisch, lebensnah und zügig … und sie bringt zu allem eine inspirierende Fülle von Beispielen und Zitaten aus dem Leben, aus der Bibel, der Literatur und der aktuellen Zeitgeschichte. Der Fundus, aus dem die Theologin und Germanistin dabei schöpft, ist riesig, und wirkt immer erhellend. Die EINSERIN schreibt dabei leichtfüßig wie eine SIEBEN, und gleichzeitig tief berührend und bildhaft wie eine VIER. Woran man erkennt, welch weiten Weg Marion mit sich und ihrem Persönlichkeitstyp schon zurückgelegt … und was sie dabei in ihre EINS integriert hat. Gleichzeitig wird man über die 9 Stufen des Bewusstseins in verschiedenen Themenfeldern belehrt – ohne sich dabei belehrt zu fühlen: etwa wenn es um die verschiedenen Weisen des Betens geht, des Glaubens, des Kircheseins, der Schattenarbeit oder der Gottesbilder, etc. Die vielen Puzzleteile können so ein einem stimmigen Gesamtbild verortet – und deshalb besser verstanden und auch tiefer respektiert werden.
Die neun Stufen sind neun Konzepte, in die wir hineinwachsen, unseren Ort finden, und – je nach Lebenssituation oder eigener Reifungsschritte – auch wieder zugunsten einer weiteren Stufe verlassen. Sie sind je einzeln einfach zu verstehen, erscheinen jedoch als gesamtes Ensemble doch ziemlich komplex. Aber das Konzept hilft, in unserer oft verwirrenden Zeit Orientierung zu finden – und dies voll auf der Höhe der Zeit! Zu jedem Thema wird immer gleich der der Bogen zur Leserin/zum Leser geschlagen, indem Marion dazu konkrete Übungen vorschlägt; einmal, um sich das Gelesene anzueignen, aber vor allem auch, um sich selber in den neun Stufen zu erkennen. Es ist dabei nicht so, dass wir diese Stufen wie eine Leiter durchlaufen, und frühere ganz hinter uns lassen. Es ist mehr so wie bei Jahrringen, die uns zuwachsen – wir können allerdings auch stehen bleiben! – und dass wir die früheren weiter in uns tragen … und je nach Lebenssituation auf sie zurückgreifen.
Das Buch vermittelt einen faszinierenden Überblick über die gesamte spirituelle Landschaft, die einem wie ein Alpenpanorama vor Augen erscheint. Und es ermöglicht eine ganz persönliche spirituelle und auch theologischen Standortbestimmung im Christlichen. Vor allem aber ist es eine Einladung zum eigenen Wachstum. Insofern ergänzt es wunderbar die Transformationsarbeit mit dem Enneagramm, obschon die 9 Stufen mit den 9 Enneatypen direkt nichts zu tun haben. Man kann es mit Wilbers Bewusstseins-Stufen halten wie man will: das Buch zu lesen ist ein Gewinn, alleine der schönen und klaren Formulierungen wegen, die Marions Texte auszeichnen; etwa von Sätzen wie solchen: «Konflikte entstehen aus dem Zusammenstoß von Ichlingen» (S.411).
Vielen Dank Marion für den fetten Happen, der uns nährt und nachhaltig nach vorne orientiert! Wir sind natürlich gespannt, was du weiter im Schilde führst.
Wem legst du das Buch unter den Weihnachtsbaum?
Samuel Jakob, 10. Okt. 2018
Erschienen im EnneaForum Nr. 54, Oktober 2018, Heftthema: Leidenschaft(en)