Jahrestagung 2018 im Kloster Hünfeld

Aus dem EnneaForum Nr. 16, November 1999

Enneagramm und Gottesbeziehung
von Klaus Stemmler

Sich einer wichtigen Beziehung immer wieder einmal zu vergewissern, ist ein menschliches Bedürfnis im alltäglichen Leben. Wie stehst du zu mir? Wie stehen wir zueinander? Wer bist du für mich? Wer bin ich für dich?
Als „Lebensthema“ hat es auch seinen Platz auf dem „Geistlichen Weg“. Wenn wir nach unserer Gottesbeziehung fragen, dann stellt sich die Frage nach dem Gottesbild.

Gott ist kein „Es“ sondern ein „Du“! Doch welcher Gestalt? Mit welchen Wesensmerkmalen? „Was kommt von Gott auf mich herüber?“ – ist eine Schlüsselfrage für die Wahrnehmung meiner Beziehung zu Gott. Im Alten Testament gibt es das Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott!“ (Ex 20,4ff). Gleichzeitig bietet die Heilige Schrift eine Fülle von „Gottesbildern“ an: Gott als kreativer Schöpfer, Töpfer und Landschaftsgärtner (Genesis 1–2); Gott als Befreier und kraftvoller Streiter für das Leben (Exodus); Gott als gütiger Vater und liebevolle Mutter (Hosea 11), Gott als guter Hirt (Ezechiel 34), u.v.m. Jesus selbst wird als „Bild des Vaters“ gepriesen. Diese Bilder kommen einem zutiefst menschlichen Bedürfnis entgegen. Wir Menschen benötigen Bilder, Zeichen und Symbole, um unsere Wirklichkeit durchzubuchstabieren. So kann das Bilderverbot im Hinblick auf Gott nur meinen: Beschränke Gott nicht auf dein Bild. Setze ihn nicht gefangen in deinem „Bilder-Rahmen“. Gott ist zumindest größer, in der Regel konkreter und nicht selten voller Überraschung ein ganz anderer… – aber immer erweist er sich als ein Gott des Lebens!

Das Gottesbild wird erworben im Laufe der Lebensgeschichte und ist geprägt von konkreter Lebenserfahrung. Beginnend mit der Kindheit werden zunächst Mutter und Vater vom Kind als „die ersten Götter“ erlebt. Wesensmerkmale meiner Eltern und/oder anderer wichtiger Bezugspersonen mit ihren konkreten Eigenschaften und Verhaltensweisen beeinflussen mein (späteres) Gottesbild. (z.B.: Eine Mutter schenkt beständig Wärme und Geborgenheit – Gott ist mir wie Wärme und Geborgenheit. Ein Vater reagiert immer wieder wohlwollend, ermutigend und versöhnlich – Gottes Weise wird ähnlich empfunden. Eine Mutter ist erdrückend liebevoll und will, daß ich für sie „klein und knuddelig“ bleibe – Gott will mich ebenfalls so hand-„haben“. Ein Vater ist betont streng und sagt wiederholt mit erhobenem Zeigefi nger: „Der liebe Gott sieht alles!“ – in Folge muß ich mich vorm „lieben“ Gott bedeckt halten, die Nähe Gottes wird dann eher als bedrängend und unheimlich erlebt …) Nicht selten gestalten sich die Übertragungen auch gegenläufi g: Ich erlebe z.B. einen Vater immer wieder als „kraftlos“ gegenüber den Anforderungen des Lebens, oder eine Mutter als übermäßig dominant und beherrschend – Gott ist dann womöglich ganz anders. Es kann durchaus sein, daß das Gottesbild dabei „richtige und stimmige Züge“ aufweist, aber es ist (noch) nicht im Leben verwurzelt und muß deshalb mit ängstlicher Sorge gehütet werden, damit es nicht „platzt wie eine Seifenblase“, wodurch ich dann vor „Unerträglichem“ stünde.

Wegbegleiter zum Erwachsenwerden (und darüber hinaus) sind Existenzängste (Grundängste der Menschen), die es zu bewältigen gilt: „Es könnte mich genauso gut nicht geben! Mein Leben könnte sinnlos sein! Ich bin abhängig von anderen! Mein Leben ist vielfach bedroht!“ Wie kann ich mit meinen Ängsten leben? Die Weisen meiner Bezugspersonen mit diesen Ängsten umzugehen, sind mir „Vor-Bild“, deren Beziehung zu mir beeinflussen meine Ich-Stärke, mein Selbst-Wert-Gefühl. Zuerst erfahre ich von meinen Eltern, ob, wann und wie ich stark sein darf/muß und ob, wann und wie ich liebenswert (der Liebe wert und würdig) bin. Ich höre sinngemäß: „Es ist gut, daß Du da bist (!), auch wenn ich dir Grenzen und Weisung aufzeige“, oder aber: „Du bist nur dann (!) liebenswert, wenn Du gut bist, indem Du das eine (…) tust und das andere (…) läßt.“

Als Erwachsene(r) habe ich all dies verinnerlicht und sage nunmehr selbst zu mir: „Es ist gut, daß es mich gibt, auch wenn ich Grenzen und Weisung erfahre(n habe)!“, oder aber: „Ich bin nur dann(!) in Ordnung, wenn ich das eine (…) tue und das andere (…) lasse und wenn ich darin gut bin!“ Diese erworbene „Lebensphilosophie“ entspricht der Art und Weise, wie ich mein Leben gestalte (siehe Enneagramm). Habe ich viel „Gratis-Liebe“ (unbedingte Liebe) erfahren, dann fällt es mir leicht, mich in einer liebevollen Beziehung zu mir selbst, zu meinen Mitmenschen und zu Gott vor- bzw. neu einzufinden.

Je mehr „bedingte Liebe“ ich erfahren habe, desto mehr muß ich alles daran setzen, zunächst diese Bedingungen vor mir selbst, vor den Mitmenschen und auch vor Gott zu erfüllen, um dadurch meine Daseinsberechtigung zu erwirken. Bin ich z.B. der Meinung, daß ich nur dann in Ordnung bin, wenn ich in meinen Lebensvollzügen erfolgreich bin, dann versuche ich dieser Lebensphilosophie (1) vor mir selbst, (2) vor den Mitmenschen und (3) vor Gott gerecht zu werden. Ich stehe dann auf allen drei Beziehungsebenen vor der (letztlich unlösbaren) Aufgabe, mich durch die Erfüllung der gesetzten Bedingungen selbst rechtfertigen zu müssen. Hier wird deutlich, wie die Beziehungs-Ebenen des biblischen Hauptgebotes (Gottesliebe, Nächstenliebe und Selbstliebe) wie in einem Dreiklang geradezu „organisch“ miteinander verbunden sind. Je nach meiner Lebensgeschichte erlebe ich diese „Gebote“ als „schweißtreibende Aufgabe“ oder aber als „Stand“, als „Status quo“, d.h., ich finde mich vor bzw. ein in eine liebevolle Beziehung zu mir selbst, in eine liebevolle Beziehung zu meinen Mitmenschen, in eine liebevolle Beziehung zu Gott. Im Bild des Mobiles wird deutlich: Wenn der „Stand der dreifachen Liebe“ ausgewogen gelebt wird, ist der Mensch in einer erfüllten Weise Mensch. Sich von Gott auf diesen „dreifachen Stand der Liebe“ hin befreien zu lassen, ist Erlösung. Will ich es selbst bewerkstelligen, sind es Selbsterlösungsversuche, die mich letztlich überfordern. Selbstgewirkte „Teilerfolge“ sättigen nicht wirklich. „Nicht die guten Taten machen den guten Menschen“ (= Selbsterlösung), sondern „der gute Mensch (weil als solcher von Gott erkannt und in seinen Ungereimtheiten angenommen!) macht gute Taten“ (= Erlösung in der Spannung des „jetzt schon“ und des „noch nicht“).

In diesem Zusammenhang seien auch die sogenannten „dämonischen Gottesbilder“ (nach P. Frielingsdorf SJ) erwähnt. Es sind dem Leben und damit auch Gott gegenüber zutiefst gegenläufige Lebens- und Gottesvorstellungen. Von einem solchen dämonischen Gottesbild kann z.B. auf mich herüber kommen: „Du darfst nur leben, wenn du dich anpaßt und fügst.“ oder „Du darfst nur leben, wenn du Leistung bringst und darin Erfolg hast.“, oder „Du darfst nur leben wenn du deine Gefühle unterdrückst: deine Angst und Schuldgefühle, deine Aggression, deine Wut- und Haßgefühle, deine Leiblichkeit und deine Sexualität, deine Bedürfnisse nach Nähe oder Distanz, deine Bedürfnisse nach Beziehung und Liebe, …“. Dämonische Gottesbilder gilt es (in der Auseinandersetzung mit ihnen) dringlichst zu entthronisieren, damit der Blick wieder frei wird und sich Gott mir zeigen kann, wie er wirklich ist und wie er sich – aus Liebe zu mir – zeigen will. Unterscheidungsmerkmal zur Entlarvung eines dämonischen Gottesbildes ist: Der Gott der Bibel ist niemals ein Gott des Un-Lebens oder gar des Todes. Er ist ein „Eiferer für das Leben“ der auch mich verlebendigen will, auf daß ich mehr und mehr zu einem reicheren und tieferen „Leben in Fülle“ finde! (vgl. Holy Ideas im Enneagramm). Pater Alfred Delp sagt zurecht: Laßt uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt !

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