Gott schafft deinen Grenzen Frieden - „Auf zu neuen Ufern“

Wiesbaden und Mainz – zwei Landeshauptstädte, die durch den Rhein voneinander getrennt sind. Es sind wesentlich zwei Brücken, die Autos, Fußgänger und Radfahrer hinüberführen – zum anderen Ufer. Zum einen die Schiersteiner Brücke, eine Autobahnbrücke, zum anderen die Theodor-Heuss-Brücke, die Stadtbrücke. Kurz vor Rosenmontag ging es deutschlandweit durch die Medien, dass sich die Schiersteiner Brücke um 30cm gesenkt hat. Es war vorerst nicht abzusehen, wie lange die Brücke gesperrt sein wird. Was in der Fastnachtszeit zu einigen zusätzlichen Witzen geführt hat, war für die Menschen, die täglich auf diese Brücke angewiesen sind, ein echter Geduldsakt. Denn das andere Ufer war plötzlich weit weg. Um es zu erreichen wichen Wiesbadener und Mainzer auf die S-Bahn oder das Schiff aus oder nahmen große Umwege und lange Staus in Kauf. In dieser Zeit war die Grenze, die der Rhein für die Landeshauptstädte von Rheinland-Pfalz und Hessen darstellt, erlebbar. Sich zum anderen Ufern aufzumachen ist manchmal gar nicht so einfach und lustvoll, wie es klingt, denn bei diesem Aufbruch ist eine Grenze zu überwinden.
Zu dieser Grenze, die auch in unserem Thema „Auf zu neuen Ufern“ steckt, möchte ich im Folgenden ein paar Überlegungen anstellen.
Innerhalb der eigenen Grenzen, da kenne ich mich aus. Da verstehe ich die Sprache. Fühle mich sicher. Sich zum anderen Ufer aufzumachen bedeutet auch, diesen sicheren Ort zu verlassen. Am anderen Ufer werde ich mich fremd fühlen. Das ist bei geographischen Grenzen so, aber lässt sich auch auf unsere inneren Grenzen übertragen.
Die Frage danach, was meine persönlichen Grenzen sind und was für mich das andere Ufer bedeutet, beantworten Menschen unterschiedlich.
Als Pfarrerin habe ich mit einer Gruppe bibliodramatisch zum dem Vers „Gott schafft deinen Grenzen Frieden“ (Psalm 147,14) gearbeitet. Alle Anwesenden haben den Auftrag bekommen ihre eigene persönliche Grenze darzustellen. Mit Stöcken, Tüchern, Stühlen und anderen Gegenständen wurden Grenzlinien gezogen. Der eine nahm nur ein Gesangbuch zur Hand, eine andere brauchte viele Steine und Stäbe um ihre Grenze zu markieren.
In einem zweiten Schritt blieben wir in unserer Begrenzung und beantworteten für uns selbst Fragen: An welche Grenzen habe ich bei der Gestaltung gedacht? Wie ist es für mich, diese Grenze zu sehen? Mit welchen Gefühlen bin ich innerhalb meiner Grenzen?
In der Auswertung wurde deutlich, dass Grenzen für den einen etwas mit Begrenzungen im Handeln zu tun haben, für die anderen mit mangelndem Wissen und die nächsten nahmen vor allem Grenzen in Beziehungen wahr. Der Mann mit dem Gesangbuch in der Hand erzählte, dass darin noch so viele Lieder stünden, die er nicht kennt. Eine andere Frau beschrieb ihren Perfektionismus und ihre Wunsch alles richtig zu machen. Und eine andere Frau litt unter der Sehnsucht mit Menschen in enger Beziehung zu sein, aber gerade hier immer wieder zu scheitern. In den Berichten leuchteten mir enneagrammatische Zentren auf: Grenzen im Bauch, im Herzen und im Kopf.
Zum anderen Ufer aufzubrechen, kann auch bedeuten, wie für die Wiesbadener und Mainzer in den letzen Wochen, nach Brücken zu suchen, um diese Grenzen zu überwinden.
Keinen Weg hinüber zu kennen, kann bedeuten, dass ich gefangen bleibe in meinem Muster. Dann bin ich stets damit beschäftigt, mich autonom, geliebt und wissend zu fühlen. Ich werde mit aller Kraft verhindern, dass ich an diesen Stellen Mangel erfahre.
Und es ist nachvollziehbar, warum man lieber nicht den Weg zur anderen Seite sucht, auf der man sich auch mal abhängig, ungeliebt oder unwissend fühlen wird. Denn man kennt viele Momente im Leben in denen man ungewollt das sichere Ufer verlassen hat. Diese Erfahrungen, die erlebt wurden wie ein Sturz ins Wasser. Man fürchtet diese Momente im unberechenbaren Wasser, ohne festen Boden unter den Füßen. Voller Angst, gerade so strampelnd, dass man nicht völlig untergeht. Dort unten bin ich verloren und versuche krampfhaft zu reagieren. Diese Momente sind in uns gespeichert und warnen uns davor, den Weg zum anderen Ufer zu wagen. Sie erinnern uns daran, dass man abstürzen könnte und man wieder diese Not spüren könnte, die man nicht mehr erleben wollte.
Übrigens, seit einigen Tagen fließt der Verkehr auf der Schiersteiner Brücke wieder und einige Mainzer und Wiesbadener fahren nicht hinüber. Sie fürchten, die geflickte Stelle könnte nicht halten.
Das Enneagramm zeigt einen Weg auf, wie ich das andere Ufer erreichen kann. Die eigenen Stärken und Schwächen sehen zu dürfen und dadurch den Mut zu sammeln, mich auf den Weg über die eigene Grenze zu machen. Bei diesem Aufbruch bin ich nicht allein. In meinem Bemühen mich selbst besser kennenzulernen und mein Leben zu vertiefen, kommt mir Gott entgegen. Die Brücke zu betreten, sie zu überqueren und mich im fremden Land zu bewegen – am anderen Ufer, das kann ich nicht einfach machen. Nicht Anstrengung verändert, sondern die Liebe. Gottes Liebe bewegt uns, schafft Vertrauen die Brücke zu begehen, zu überqueren und mich auf der fremden Seite zu orientieren. Das Enneagramm kann mich die Theorie lehren, doch das Vertrauen ist für mich Gottes Wirken in meinem Leben. Gott schafft meinen Grenzen Frieden, begleitet mich auf die andere Seite und über dieses Leben hinaus.

Sarah Kirchhoff
in EnneaForum Nr. 47

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