Winnetou, Weltall und Islam

1. Als Kind war meine Liebe zum Fremden selbstverständlich. Ich reiste mit Old Shatterhand durch die Weiten Amerikas und freundete mich mit Winnetou an. So einen tapferen, aufrechten, treuen Kameraden hätte ich damals sehr gerne gehabt. Ich fand ihn in den Büchern von Karl May. Dieser Autor beschrieb die Fremde als Herausforderung. Seine offene Ehrlichkeit und christliche Nächstenliebe aber öffnete ihm die Herzen aller Guten auf dieser Welt. Dazu kam natürlich seine wunderbare Fähigkeit, alle Sprachen und Dialekte zu sprechen, die ihm unterwegs begegneten. Das erschien mir großartig. Karl May hat mir geholfen, in eine andere Welt zu gelangen. Aus dem schwierigen Alltag konnte ich lesend ausbrechen, das fremde Kind in der Schweiz, das anders sprach als die Einheimischen und auch noch eine andere Konfession hatte. Ein lutherisches Kind in einem katholischen Kanton war auch den dort lebenden Reformierten fremd. Die freundliche Begegnung, die Achtung und Bewunderung der Begabungen und der besonderen Kultur, das lehrte mich Karl May.
Der nächste Schritt, ich wurde älter, war die Fantasy- und Science-Fiction-Literatur. Der erste Schritt in diese Richtung war die Lektüre von Jules Verne. Mit welchem Selbstbewusstsein (heute würde man „Coolness“ sagen), reiste Phileas Fogg „in 80 Tagen um die Welt.“ In Indien fand er die Frau seines Lebens, indem er sie als Witwe und damit Todgeweihte rettete. Die Nächstenliebe ging der erotischen Liebe voraus. Das hat mich sehr beeindruckt. Auch die Reise durch die Tiefen der Ozeane auf der Nautilus war mehr als eine Erkundung unbekannter Welten. Kapitän Nemo, einst ein Opfer von Unterdrückung, hat sein U-Boot auch dazu benutzt, die Feinde eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen zu verfolgen und ihre Schiffe zu versenken. Selbst die „Reise durch das Sonnensystem“ wurde möglich. Ein Komet hatte Teile der Erde mitgenommen, als er das Mittelmeer überquerte. Den Konflikt der Menschen aus verschiedenen Völkern, die nun gemeinsam durch unsere Planetenwelt reisten, habe ich schon als Kind deuten können. Wir Menschen sind einander fremd, aber der Blick in das unendliche Weltall lässt uns erkennen: Wir sind Geschwister. Eine militärische Gruppe, die sich dem Zusammenschluss auf dem Kometenflug verweigerte kam bei der Rückkehr auf die Erde ums Leben. Die anderen überlebten in einem selbstgebauten Heißluftballon und landeten in einem Ort an der algerischen Küste.
Von Kindheit auf habe ich, vor allem durch Bücher erfahren, dass das Fremde die eigene Welt bereichern kann. Das Fremde erweitert die Heimat und macht die Erde wertvoller, weil sie als einsamer Planet in diesem unvorstellbar riesigen Weltall unterwegs ist.
Heute denke ich: Die Sehnsucht nach dem Fremden und der Ausbruch aus der vorgeformten Heimatwelt zeigte schon die VIER an. Das Andere und Fremde wollte ich damals auch gerne als Teil von mir betrachten.

2. Durch einen Onkel, der Arabisch spricht und Freunde in Ägypten hat, lernte ich schon in den frühen 80er-Jahren Muslime kennen. Das Spannende an diesen Begegnungen war, dass ich im Islam eine Fremdheit entdeckte, die sich nicht auflösen ließ und die ich mir innerlich nicht aneignen konnte. Durch die wachsende Nähe und manche Freundschaften wuchs auch die Fremdheit und Verschiedenheit. Ich lernte in diesen Beziehungen, warum das Liebesgebot das wichtigste in der Bibel ist. Da war wachsende Nähe durch die zunehmende Kenntnis der Bräuche und Sitten, der Religionsinhalte und ihrer Ausführung. Zugleich aber begegnete mir in dieser Nähe und Vertrautheit eine klare Grenze. Es blieb eine Fremdheit, der ich mich nicht anpassen konnte und wollte. Dieser Widerspruch ließ sich nur durch Liebe auflösen: Wir sind und bleiben verschieden, aber wir lernen gerne voneinander. Die Liebe stärkt unsere Freundschaft und überwindet die Gegensätze. Das ist für eine VIER eine sehr spannende Erfahrung. Mein Anderssein war niemals die Anpassung an den Islam, sondern die Liebe, die mich und die fremden Freunde verband und immer noch verbindet.

3. Spätestens seit dem 9. September 2011 kam die Angst vor »dem Islam« nach Deutschland. Damit verbanden sich Vorurteile und Verallgemeinerungen, die sich nicht auflösen ließen. Sie beruhen bis heute auf der Furcht, benennen diese aber als Vernunft.
Das Aussenseitertum, das Muslime nun immer stärker spüren müssen, ist ebenfalls ein VIERer-Thema. Es fällt der VIER leicht, mit Andersartigkeit zurecht zu kommen. Dazu gehört aber auch, dass diese sich stilvoll aneignen lässt. Die Fremdheit wird dann das nach außen gewandte Anderssein, mit dem die VIER sehr gerne spielt. Warum sind im bayerischen Islamforum, einer Plattform zum Gespräch zwischen den Kulturen und Religionen, nur wenige VIERer zu finden? Ich vermute, weil der Islam der VIER eher als Zwang zur Anpassung, als frauenfeindlich und rückwärtsgewandt gilt. Die deutsche Buddhismus-Szene ist der VIER scheinbar viel näher. Da lässt sich das schicke Anderssein wie selbstverständlich vorführen.
In diesem Zusammenhang hilft nicht nur die Liebe. Es geht auch darum, Gottes gute Ordnung wahrzunehmen und zu achten. Zum Frieden, den Gott durch die Gebote und die Prophetenworte schaffen und erhalten möchte, gehört auch, dass die Gesellschaft den Fremden beherbergt und in seiner Verschiedenheit achtet. Diese Ordnung hat also auch die Liebe als Grundlage, nicht die Grenzziehung. Wenn es irgend etwas Gutes gibt in der heutigen, politischen Zerfahrenheit, ist es der Schulterschluss der christlichen Konfessionen. Die Furcht darf nicht über die Liebe siegen.
Der Apostel Paulus, der die christliche Lehre nach Europa brachte, hat in seinen Briefen betont: Nehmt Rücksicht auf Menschen, die ihre Bräuche nicht einfach ablegen können, sondern an sie gebunden sind. Auch für ihn ist die Liebe das oberste Gebot. Sein wunderbares Gedicht im 1. Korintherbrief schließt er mit den Worten: »Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

Holger Forssman
Beitrag für Enneaforum Nr. 49

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