ENNEAGRAMM

Büchertipps

Anna-Maria Rumitz und Alexander Pfab

Wer bin ich? Was treibt mich an?

Verlag J. Kamphausen, 2014, ISBN-10: 389901796X

Buchbesprechung
„Wer bin ich? Was treibt mich an?“, von Anna-Maria Rumitz und Alexander Pfab; J.Kamphausen Mediengruppe, Bielefeld
Während eines Enneagrammkurses nahm Susanne Fillers das Buch, das ihr durch die moderne Aufmachung aufgefallen war, mit nach Hause und kam am nächsten Tag begeistert zurück. Sie und ihr Mann hatten ihr Muster gelesen und sich hervorragend beschrieben gefühlt. Susanne Fillers schreibt u.a.:
„Besonders angesprochen hat mich dabei die persönliche Sichtweise, aus der heraus jeder Enneagramm-Typ beschrieben wird. Es wird aus der Perspektive der gereiften Persönlichkeit erzählt, die auch die weniger reifen Wesenszüge kennt, durchlebt, aber auch für sich gewandelt und neue Handlungsoptionen für sich herausgefunden hat. Gerade dieser Stil macht das Buch für mich zu einer wertvollen Hilfe im Erkenntnisprozess: frühere Verhaltensweisen brauche ich nicht abzuwerten, mich nicht für vergangene Sichtweisen oder Absichten schämen, sondern ich kann sie annehmen als Teil, der zu mir gehört, der aber nicht mehr für mich funktioniert und den ich deshalb im Laufe der Zeit Schritt für Schritt verändere. Ich habe andere Bücher kennen gelernt, die bestimmte Muster mit Begriffen versehen haben, die mir zu hart erschienen und in denen ich fast eine moralische Bewertung empfunden habe. Das macht es schwer, sich mit einem Muster zu identifizieren. Anna-Maria Rumitz und Alexander Pfab beschreiten den Weg, Verhaltensweisen auch nicht zu beschönigen, aber sie beleuchten die für einen selbst positiv erscheinende Absicht, aus der heraus jeder Grundtyp zunächst einmal gehandelt hat. Das schafft Verständnis für die Andersartigkeit anderer Grundtypen und erleichtert den Zugang zur eigenen Veränderung.“
Besonders schätze ich an dem Buch, dass es die Motive der einzelnen Enneagrammmuster deutlich beschreibt und dann in deren Logik argumentiert und eine bestimmte Art zu Handeln einleuchtend macht. Manchmal verblüffend und erschreckend typspezifisch ehrlich. Man sieht in Abgründe – aber ohne Bewertung und auf eine ruhige, sachliche und einleuchtende Art. Nicht das Übliche! Dass der Weg zum Licht oft auch zuerst durch das Dunkel führt, lässt sich manchmal nur erahnen. Es spricht eben die reife Persönlichkeit, und die kann sich an das Dunkel manchmal nur schwach erinnern. Dadurch erscheint der Weg der Veränderung gelegentlich „machbarer“, als er in Wirklichkeit ist. (Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass sich einer der Autoren zum Muster Drei zählt?)
Von den 99 Fragen, die das Buch beantwortet, befassen sich jeweils neun mit den neun Mustern. Vorgestellt werden Stärken und Talente, Handlungsmuster werden überprüft und das Verhalten in Familie und Partnerschaft, in Teams und Gruppen wird beleuchtet, ebenso der Umgang mit inneren und äußeren Konflikten. Darüber hinaus werden die Stress- und Entwicklungswege beschrieben und sogar das Prozessmodell wird kurz vorgestellt.
Susanne Fillers schreibt: „Für mich persönlich ist dieses Buch eine große Bereicherung, die ich weiterhin für mich, meine Weiterentwicklung und den Umgang mit anderen Menschen nutzen werde.“
Auch ich kann das Buch, das auch als Hörbuch verfügbar ist, herzlich empfehlen. Ein wirklich interessantes , ungewöhnliches Buch, das ich inzwischen zweimal mit Gewinn gelesen habe. In einer griffigen Sprache geschrieben, manchmal locker und burschikos, manchmal einfühlsam und nah an den Menschen. Ein Buch, das herausfordert!
Friedrich Karl Völkner, Susanne Fillers

Wilfried Reifarth

Bejahen, Verneinen, Versöhnen
Gurdjieff und das Enneagramm

Lambertus-Verlag, Freiburg 2013, ISBN-10: 378412397X

Buchbesprechung
Der Titel „Bejahen, Verneinen, Versöhnen“ des neuesten Enneagramm-Buchs von Wilfried Reifarth nimmt Bezug auf das Gesetz der Drei, das in der Zahlensymbolik des armenischen Weisheitslehrers Georg Iwanowitsch Gurdjieff (1866-1949) eine wichtige Rolle spielt. Besonders das Versöhnen scheint dem Autor am Herzen zu liegen – Brücken zu bauen, zwischen der zerstrittenen Verwandtschaft (Kap. 2) und Nachkommenschaft des historischen Enneagramm-Überlieferers.
Auf dem Hintergrund eines detaillierten Quellenstudiums (viel Original-Text), kann er deutliche Gemeinsamkeiten aufzeigen, in denen die heute gelehrten Auslegungen dieses neunzackigen Symbols mit den Gurdjieff’schen Ur-Lehren in Verbindung stehen. Für Anwender des Enneagramms als Persönlichkeitsmodell besonders interessant sind dabei die Nachweise, dass dort auch schon ein typologischer Ansatz enthalten war.

Bevor im zweiten Teil auf die spezifischen Enneagramm-Lehren eingegangen wird, widmet sich der Autor ausführlich dem Menschenbild Gurdjieffs: Er sieht uns als drei-hirnige Wesen (Denken, Fühlen und körperliche Empfindung), die zunächst blind dem Chaos ihrer widersprüchlichen Motivationskräfte ausgeliefert sind. Erst durch eine Bewusstseinstransformation, die er die „Arbeit am Vierten Weg“ nennt, können die niederen Zentren in höhere verwandelt werden. Dabei entwickelt sich eine vierte Instanz, das wahre Ich, unsere eigentliche Seelenkraft, die in der Lage ist, als „Herr“ in der „Kutsche“ des Lebens auch wirklich die Zügel zu halten und die rohen Kräfte zu bündeln.
Ein wichtiger Begriff in dieser Verwandlungs-Arbeit ist die „Seelen-Erinnerung“: Im Gurdjeff’schen Persönlichkeitsmodell wird davon ausgegangen, dass wir alle durch die Widrigkeiten des Lebens aus einer ursprünglichen Verbindung mit unseren Seelenkräften herausgefallen sind und daher die Möglichkeit eines erinnernden Anknüpfens daran unmittelbar gegeben ist.

Im zweiten Teil des Buches wird sowohl auf die Zahlensymbolik des Enneagramms eingegangen, als auch seine Anwendung als Prozessmodell dargestellt. Mit besonderem Interesse zeigt der Autor hier darüber hinaus auch Quellen auf, die als Einflüsse auf die Vertreter des „Vierten Wegs“ (Ouspensky, Nicoll, Bennett, u.a.), die sich in der Nachfolge Gurdjieffs sahen, beschrieben werden. Eine besondere Rolle wird dabei dem Engländer Rodney Collin eingeräumt, über den vermutlich das ursprüngliche Material an die Ur-väter/mütter des Enneagramms der Persönlichkeit (Ichazo, Naranjo, Palmer) gelangt ist.
Den Abschluss des Buches bildet eine unterhaltsame „Typisierung“ des Menschen Gregor I. Gurdjieff, die ihn in seiner eindrücklichen historischen Gestalt würdigt.

Es ist unschwer zu erkennen, dass ein psychologisch geschulter Enneagramm-Lehrer dieses Buch verfasst hat, für den das Aufzeigen von Entwicklungs- und Transformations-Wegen in besonderer Weise Bedeutung hat. Als Leserin mit ähnlichen Interessen, war mir die Lektüre daher auch ein besonderer Genuss und ich begegnete darin vielen zeitlosen Erkenntnissen über die Wandlungsmöglichkeiten durch bewusste Des-Identifikation – heute würde man das vielleicht den Weg der „Achtsamkeit“ nennen. Allein bei den detaillierten Beschreibungen der so genannten höheren Zentren und auch weiteren ausgefeilten Konzepten, deren Verstehen größere „Hirnakrobatik“ erforderte, ließ meine Aufmerksamkeit nach und eine gewisse Ermüdung machte sich bemerkbar.
Als Psychotherapeutin finde ich die Betonung der „Ich-Stärke“ wohltuend – gerade in einer Zeit, wo spirituelle Entwicklung oft als Überwindung jeglichen Ich-Bezugs missverstanden wird. Dass diesem gereiften „Ich“ als „Herr“ in einem Prozess des Persönlichkeits-Wandels eine besondere Rolle zukommt, kann ich aus meiner eigenen Erfahrungswelt nur bestätigen.
Kann man die Gesetze, die im Universum wirksam sind, wirklich in einer Wahrheitslehre abbilden? Hier komme ich als Kind meiner Zeit – erkenntnistheoretisch stark vom (postmodernen) Konstruktivismus geprägt – zu einem klaren Ver-Neinen. An dieser Stelle scheint mir eine gewisse Antiquiertheit in den Ansichten Gurdjieffs am stärksten greifbar zu werden. Allerdings würde ich immer unterschreiben, dass es wirkmächtige Landkarten gibt, mit deren Orientierungs-Hilfe neue und auch befreiende Erkenntnisse gefunden werden können. Das Enneagramm ist sicher eine davon.

Das Buch hat mich nachhaltig davon überzeugt, dass der Person Georg I. Gurdjieff in der Entwicklung und Weitergabe dieses alten Modells eine zentrale Schlüsselfunktion zukommt. Seine transformatorischen Ideen reichen weit in unsere heutige Zeit. Wilfried Reifarth möchte ich an dieser Stelle meine Hochachtung dafür aussprechen, in welch umfangreicher Recherchen-Arbeit er diesen Verdienst hier gewürdigt hat. Für jeden Enneagramm-Kenner, der an tieferen Zusammenhängen interessiert ist, absolut empfehlenswert!

296 Seiten, Lambertus-Verlag (11. April 2013), Freiburg, ISBN-10: 378412397X, 23,90 Euro

Maria-Anne Gallen (psycholog. Psychotherapeutin, Enneagramm-Lehrerin und – Autorin)

Suzanne Zuercher

Spirituelle Begleitung
Das Enneagramm in Seelsorge, Beratung und Therapie

Claudius Verlag, München 2013

Buchbesprechung
„Unsere Aufgabe ist es, Fremdenführer zu sein, Freund und Dolmetscher für Menschen, die durch ihre private Hölle, ihr ureigenes Fegefeuer gehen.“ Dieses Zitat von Rollo May stellt Suzanne Zuercher an den Anfang ihres Buches und im Grunde will sie nichts anderes, als dem, der sich als Fremdenführer zur Verfügung stellt, einen Wegweiser oder auch Wegzehrung anzubieten. Wer einen Menschen begleitet, der durch seine private Hölle geht, ist froh über Hinweise, die den gemeinsamen Weg etwas leichter machen können. Suzanne Zuercher sieht im Enneagramm eine solche Hilfe, sowohl um die Bedürfnisse des Begleiteten besser verstehen zu können, als auch die eigenen Grenzen und Möglichkeiten als „Fremdenführer“ realistisch einzuschätzen.

Wie schon in ihrem Standardwerk „Neun Wege zur Ganzheit“ führt sie zunächst die Besonderheiten der Triaden auf, bevor sie sich den einzelnen Enneagramm-Typen zuwendet und beschreibt, was es bedeutet, Menschen mit diesem Persönlichkeitsmuster zu begleiten. Abschließend beschreibt sie, wie die eigene Zugehörigkeit zu einer Triade wiederum den „Fremdenführer” / Begleiter prägt.
Ich selbst kenne das Buch in der Ausgabe von 2004 schon seit einigen Jahren, und es ist eines der Enneagramm-Bücher, die ich regelmäßig zu Rate ziehe, um mein Gegenüber und mich selbst besser zu verstehen. Suzanne Zuercher versteht es, ihre Erkenntnisse und Erfahrungen geradlinig und doch anschaulich darzulegen. Die klare inhaltliche Struktur macht das Nachschlagen einfach. Sie verliert sich nicht in endlosen Fallbeispielen, sondern lässt Menschen mit kurzen prägnanten Aussagen zu Wort kommen.

Die nun vorliegende Neuauflage unterscheidet sich allerdings kaum von ihren Vorgängern. Das äußere Erscheinungsbild hat sich verändert, Format und Schrift erscheinen mir lesefreundlicher. In der Übersetzung hat man sich für eine eindeutigere Wortwahl in Bezug auf den „Begleiter“ und den „Begleiteten“ entschieden, was dem Lesefluss eindeutig zugute kommt. Ansonsten bleibt die Ausgabe bis auf wenige Formulierungen dem Original treu, und das ist auch gewollt und gut so, denn die Inhalte sind nach wie vor wertvoll und hilfreich. Und so ist die neue Auflage von „Spirituelle Begleitung“ einfach eine gute Nachricht für alle, die noch kein Exemplar davon im Regal haben, und bisher vergeblich nach dem zeitweise vergriffenen Buch gesucht haben.

Heidi Lang

Petra Götz, Alfons Mayer, Claudia Schöffler

Vom Wind, von Wiesen und neun Welten

kapila 2012

Buchbesprechung
Ein Enneagramm-Kinderbuch
Jeder von uns ist anders und das ist wichtig!
„Vom Wind, von Wiesen und neun Welten“ beschreibt, wie neun ganz verschiedene Tiere ein Vorhaben gemeinsam in die Tat umsetzen. Jeder versteht das Ganze etwas anders, jeder reagiert und agiert unterschiedlich auf die bevorstehende Vorstellung. Vor dem Hintergrund des Enneagramms werden die individuellen Wahrnehmungen der neun Welten und damit die Andersartigkeit eines jeden auf ganz besondere Weise beleuchtet.
So las sich die Beschreibung, als ich das Buch für eine Rezension erhielt und ich war schon neugierig, nachdem ich das erste deutschsprachige Kinderbuch für Jugendliche: „Die Farben deiner Welt“ als gelungenes Werk mit Freude entdeckt hatte.
Und hier ist es, ein Buch, das schon Kindern ab dem Vorschulalter bildhaft und farbenfroh zeigt, dass die Unterschiedlichkeit erst die Welt bunt macht und jeder auf seine Weise dazu beiträgt.
Ein Festabend für alle Tiere der Berge und jeder soll etwas vorführen… Neun Tiere stehen beispielhaft für die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster, die wir kennen. Die Bilder – wunderbar liebevoll überzeichnet – illustrieren die dazugehörigen Kurzgeschichten.
Ein Buch, das sich schon als Vorlesebuch lohnt, aber auch größere Kinder begeistert. Es gibt keine Wertungen sondern eine Wertschätzung aller Gaben. Das ist etwas, was man Kinder nicht früh genug vermitteln kann. Zu guter Letzt finden sich alle als eine große Gemeinschaft zusammen.
Ich werde es nicht weiterverschenken, sondern behalten und meinen großen und kleinen Besuchern daraus vorlesen.

Doris Wetzig

Erschienen bei kapila kommunikation, zu bestellen unter www.kapila-shop.de

Marion und Werner Tiki Küstenmacher, Tilmann Haberer

Gott 9.0
Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird.

Gütersloher Verlagshaus, 2010

Buchbesprechung
Das vertikale Enneagramm – eine Rezension zu Gott 9.0, dem neuen Werk von Marion und Werner Tiki Küstenmacher und Tilmann Haberer mit einem Vorwort von Richard Rohr

Seit über 20 Jahren stehe ich bei der Darstellung des Enneagramms immer wieder vor demselben Dilemma: Die Typologie stellt die neun Fixierungen in der Regel zunächst in ihrem „unerlösten“ Zustand vor. Es gibt zwar eine Ahnung davon, wohin sich die einzelnen Muster entwickeln können, wenn sich die Fixierung auflöst. Aber eine präzise Beschreibung des Prozesses ist schwierig und manchmal auch spekukulativ. Riso hat zwar in seinem ersten Enneagrammbuch neun (!) Wachstumsstufen für jedes Muster beschrieben. Aber diese Stufen erschienen mir seinerzeit reichlich willkürlich und empirisch nicht nachvollziehbar.
Etwa zur selben Zeit, als Oscar Ichazo das Enneagramm der Fixierungen erstmals formuliert hat, hat ein amerikanischer Forscher namens Clare Graves eine umwerfende Entdeckung gemacht: Er hat Studenten in aller Welt befragt und dabei entdeckt, dass sich ihre Wertesysteme unabhängig vom kulturellen Hintergrund in typische Gruppen ordnen lassen, die aufeinander aufbauen. Er sprach in diesem Zusammenhang von “Levels”, was sich – etwas ungenau – mit Stufen übersetzen lässt. Graves fand heraus, dass sich unter anderem die religiösen Vorstellungen mit jeder Bewusstseinsebene wandeln und dass dieser Wandel einem vorhersagbaren Schema folgt. Diese Ebenen oder Stufen bauen ähnlich aufeinander auf, wie die “Updates” von Computerprogrammen. Die “verbesserte” Version enthält alles, was die vorherige Version auch zu leisten vermochte, führt das Programm aber einen Schritt weiter. Das “Update” kann frühere Versionen noch immer einlesen. Umgekehrt aber kann es geschehen, dass ein veraltetes Programm neue Texte und Eingaben nicht darstellen kann.
50 Jahre nach den Entdeckungen von Graves haben Marion und Werner Küstenmacher und Tilmann Haberer erstmals versucht, dieses Ebenenmodell dezidiert auf Gesellschaft, Gottesbilder, Bibel, Kirche und geistliche Entwicklung anzuwenden. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist „Gott 9.0“, ein so spannendes Buch, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr gelesen habe.
Die Autoren bauen auf einer Skala auf, die Don Beck und Christopher Cowan, Schüler von Clare Graves, entwickelt haben. Sie haben den beschriebenen Bewusstseinsstufen Farben zugeordnet. Die neun Entwicklungsebenen gelten für Gruppen und Gesellschaften ebenso wie für Individuen.
Die (bisher) 9 Entwicklungsebenen, die Individuen und Gesellschaften durchlaufen, bauen sich folgendermaßen auf:
Stufe 1.0, Beige, Individuum, Existieren: Das nackte kreatürliche Überleben eines Menschen oder einer Gruppe am Anfang (und oft am Ende) des Daseins. Die älteste Menschheitskultur vor 100 000 Jahren. Gott hat noch keine Gestalt und keinen Namen. Wenn es etwas “Göttliches” gibt, dann ist es die nährende Mutterbrust. Der Säugling (und der Greis).
Stufe 2.0, Purpur, Kollektiv, Sicherheit. Purpur ist die magische Stufe. Thema ist die Zugehörigkeit zur Gruppe, böse Mächte müssen abgewehrt, gute Geister beschworen werden. Märchenalter in der Kindheit, Schamanismus, Ahnenkult, Stammesgötter (Abraham), die nur für den eigenen Clan zuständig sind.
Stufe 3.0, Rot, Individuum, Macht. Ausbruch aus dem Clan, Eroberung, Aggression, Selbstbehauptung. Wer ist stärker? Biographisch das Trotzalter. Religiös: Machtgötter und Machtkampf der Götter, Jahwe als Kriegsgott, der sich als stärker erweist als die anderen Götter.
Stufe 4.0, Blau, Kollektiv, Ordnung: Moral, Regeln, Gewissen, hierarschische Struktur (oben und unten), Sündenbewusstsein und Ausgrenzung der Sünder, Könige, Beamte, Priester. Der eine und allmächtige Gott, der Richter. Dualistisches Weltbild: „drinnen“ und „draußen“.
Stufe 5.0, Orange, Indviduum, Freiheit: Ich-Bewusstheit, Vernunft, Technik, Effizienz, Aufklärung. Gott geht entweder verloren (Atheismus) oder wird zum persönlichen Gott (Pietismus), Reformation, Rationalismus, Erfolgsstreben.
Stufe 6.0, Grün, Kollektiv, Gleichheit: Konsens, Integration, Sensibilität, Gewaltlosigkeit, Teams, Therapeuten, menschefreundlicher und mütterlicher Gott, der nicht verurteilt, Gott auch außerhalb der eigenen Religion, Abschaffung von Sklaverei, Feminismus, Rassengleichheit, Naturschutz.
Stufe 7.0, Gelb, Individuum, Zusammenschau: Vereinigung von Gegensätze, Paradoxes und Komplementäres aushalten (Jesus ist Mensch UND Gott), Intuition, vernetztes (systemisches) Denken, Eigenverantwortung.
Stufe 8.0, Türkis, Kollektiv, Universalität: Alles ist mit allem verbunden, Weltethos, global agioerende Gemeinschaften, Gott als Prozess und Poet der Welt, Harmonie.
Stufe 9.0, Koralle, Individuum: Noch nicht beschreibbar, Gott als „Werdenkönnen“.
Diese Stufen durchläuft kein Mensch und keine Gesellschaft linear. Im Gegenteil: In bestimmten Lebenssituationen, insbesondere in Krisen, greifen wir auf Stufen (und z.B. Gottesbilder und Gebetsformen) zurück, die „eigentlich“ schon überwunden sind. Das ist vergleichbar mit dem „Stresspunkt“ im Enneagramm, auf den wir unter Druck „zurückfallen“. Frühere Stufen werden beim Reifungsprozess nicht einfach aufgehoben; sie müssen integriert werden. Jeder Mensch hat alle früheren Stufen in sich, denn jede Stufe hat ihren eigenen Wert und ihre eigene bleibende Bedeutung. Ein gereifter Mensch erweist sich auch darin, dass er auf frühere Entwicklungsebenen nicht verächtlich herabschaut, sondern sie würdigt. Dazu kommt, dass wir in verschiedenen Lebensbereichen fast immer unterschiedlich weit entwickelt sind. Es gibt zum Beispiel Mönche auf dem Berg Athos, die außergewöhnliche Erleuchtungserlebnisse haben, aber frauen- und körperfeindlich sind und alle Nicht-Orthodoxen verteufeln. Die geistige Entwicklung kann trotz erstaunlicher Gotteserfahrungen stagnieren. Der große mittelalterliche Mystiker Bernhard von Clairvaux zum Beispiel war gleichzeitig ein übler Kreuzzugshetzer.
Zu einer „integralen“ Spiritualität(Ken Wilber) gehört, dass die moralische, die intellektuelle, die geistliche und die emotionale Linie gleichzeitig wachsen. Andererseits sind auf allen Stufen der Entwicklung tiefe und vollständige religiöse und mystische Erfahrungen möglich. Sie werden sich allerdings in der Sprache und den Bildern der jeweiligen Stufe Ausdruck verschaffen.
Die Thesen von “Gott 9.0” stießen allerdings schon vor der Veröffentlichung auf den einen oder anderen Widerspruch. Aber bevor solche kritische Anfragen Gehör finden – und das sollen sie – muss man zunächst die Grundgedanken dieses Ansatzes zur Kenntnis nehmen. Auf Dauer wird man sich einer qualifizierten (und nicht nur emotionalen und abwertenden) Diskussion dieses Ansatzes nicht entziehen können. Stufenmodelle tragen ja tatsächlich die Gefahr in sich, dass sie zum geistlichen Hochmut derer führen können, die sich „weiter oben“ oder „besser“ wähnen. Das Autorenteam hat dieser Versuchung ernsthaft widerstanden. Das Buch ist frei von Überheblichkeit. Offen bleibt freilich die Frage, ob der Entwicklungsoptimismus dieses Modells (Untertitel: „Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird“) berechtigt ist. Allerdings: Als Christen glauben wir an einen Gott, der will, dass allen Menschen geholfen wird und der trotz aller Rückschläge das Heil dieser Welt will und vorantreibt, so dass am Ende „alles gut“ wird. Das zumindest erlaubt eine insgesamt hoffnungsfrohe Zukunftsperspektive.
Gleichzeitig bietet das Buch all jenen eine Fülle von Denkanstößen und Verstehenshilfen, die sich mit Fragen herumschlagen wie: Was hat der Kriegsgott Jahwe, der befiehlt, die Feinde Israels brutal auszurotten, mit dem Liebesgott zu tun, den Jesus verkündigt? Weshalb sagen mir bestimmte religiöse Praktiken und Vorstellungen nichts mehr, die mich einst erfüllt haben? Bin ich vom Glauben abgefallen, wenn ich bestimmte Vorstellungen nicht mehr nachvollziehen kann, oder hat sich mein Glaube vertieft und erweitert?
Erste Rezensionen im Internetbuchhandel amazon.com sind ermutigend: „Ein Buch, das mein Leben nachhaltig verändern wird! Ich habe es verschlungen und es hat sich für mich eine neue Welt aufgetan. Es hat eine Mauer bei mir einstürzen lassen, die mir eine neue Sicht auf mich und die Welt gibt und schier unendliche Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung.“ Oder: „Den Autoren gelang es mich mit ihren Gedanken zu unseren Entwicklungsmöglichkeiten zu fesseln, ohne mich durch christliche Dogmatik zu ärgern… Plötzlich habe ich vieles verstanden. Es steigt ein Bild in mir auf, wie es sein könnte – das hat mir bislang gefehlt. Und wenn Gott so gedacht wird, wie hier beschrieben, ja, dann könnte ich mich auch wieder mit Ihm anfreunden.“ Oder: „Gott scheint durch das gesamte Buch voller farbenfroher Leuchtkraft hindurch.“
Ein Test gleich zu Beginn des Buchs ermöglicht eine erste Einschätzung, welche der Stufen 2 bis 8 beim Leser und der Leserin besonders stark ausgeprägt sind und wo Schwer- und Schwachpunkte liegen. Ich persönlich hätte diesen Test lieber am Ende der Lektüre gemacht. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass ich kein großer Fan von solchen Tests bin. Ähnlich wie beim Enneagramm empfinde ich es als hilfreich, die Beschreibungen der Wachstumsebenen (zugleich eine Schatztruhe voller Informationen, Zitate und Geschichten) erst einmal wirken zu lassen. Die Fragen des Tests fand ich zum Teil etwas verwirrend, da sie manchmal zwei Teile haben, die ich persönlich jeweils unterschiedlich bewerten würde. Jedenfalls sollte man den Test nicht allzu ernst nehmen. Die echten Aha-Erlebnisse kommen beim Lesen. Und das Ganze fühlt sich für mich ähnlich aufregend an als die Erstbegegnung mit dem Enneagramm vor über 20 Jahren.
Gott 9.0 wird auch der Enneagrammarbeit neuen Auftrieb geben. Ähnlich wie das Prozessmodell, das Ludwig Zink und Arno Kohlhoff weiterentwickelt haben, oder die Einsichten über die Untertypen, eröffnet dieser Ansatz völlig neue Dimensionen. Er ermöglicht erstmals eine vertikale und somit dreidimensionale Sicht von Entwicklung. Denn das jeweilige Muster bleibt auf allen Entwicklungsstufen dasselbe. Dennoch sieht eine FÜNF auf Stufe 4.0 (blau) anders aus als auf Stufe 7.0 (gelb). In Kombination mit dieser Entwicklungsdynamik kann das Enneagramm zu einem noch präziseren und umfassenderen Werkzeug der Wahrnehmung werden. Ich kann mir für unsere Zeit nichts Überzeugenderes vorstellen als diese Kombination. Sie leistet einen hervorragenden Dienst auf dem Weg zu einer integralen Spiritualität, wie sie Ken Wilber angedacht hat.

Ein großes Geschenk! Danke Marion, Tilmann und Tiki!

Andreas Ebert
Leiter des Spirituellen Zentrums St. Martin in München und Bestsellerautor (Das Enneagramm)

Aktuelle Infos und Termine unter www.Gott90.de

Aus EnneaForum 38 (11/2010), S. 31-32 © ÖAE e.V.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Uwe Böschemeyer

Du bist viel mehr
Wie wir werden, was wir sein können

Ecowin Verlag, Salzburg 2010, ISBN 978-3-902404-88-6

Buchbesprechung
Wer Uwe Böschemeyer 2005 auf der Jahreshauptversammlung in Wiesbaden-Naurod erlebt hat, wird sich weder über den Titel noch über den Inhalt dieses Enneagrammbuches wundern. Seine tiefgreifende Menschenliebe und sein Vertrauen darauf, dass jeder Mensch enorme Entwicklungspotenziale in sich trägt, die zu erschließen möglich sind, haben mich schon damals sehr beeindruckt. Zumal dieses Vertrauen basiert auf den faszinierenden Erlebnissen innerer Reisen, Wertimaginationen genannt, die Menschen ihre inneren Kräfte erkennen lassen und tatsächlich Umkehr und Wachstum ermöglichen.
So liegt hier vor mir eins der positivsten Enneagrammbücher, das ich kenne. Ein Buch, geschrieben oftmals einem kleinen Augenzwinkern und viel Verständnis für all die menschlichen Schwächen. Ein Buch, das uns aber auch nichts erspart und uns sehr genau in die Abgünde und die verborgenen Motive der einzelnen Typen schauen lässt. Dass dann aber ganz konkrete Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigt und vor allem deutlich macht: es ist möglich, sich weiter zu entwickeln. Das ganz konkrete Fragen stellt und ganz konkrete Vorschläge macht. Ein Buch, dass ermutigt und eine Vision aufzeigt, wie es sein könnte. Ein wohltuendes und tröstendes und motivierendes Buch.
Es beginnt mit einer kurzen und interessanten Einführung zur wertorientierten Persönlichkeitsbildung und zum Enneagramm. Dann aber widmet es sich schnell den einzelnen Typen. Hier beginnt der Autor freundlich mit der kurzen Geschichte einer Wanderung, zunächst vom erwachsenen, dann vom entwicklungsverzögerten Protagonisten des jeweiligen Typs. Er beschreibt das jeweils „Typische“, zeigt dann Widerstände gegen die Weiterentwickling auf, danach sehr ausführlich Wege zur Weiterentwickling und er endet mit der Beschreibung einer Wertimagination.
Am Ende des Buches, das konnte der Einserautor (oder Reformer, wie er diesen Typ nennt)dann doch nicht lassen, gibt es noch einmal 30 Leitlinien zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Aber wie milde, wie wertschätzend und wie einladend klingen sie! Da steht mancher Satz, den sich der eine oder die andere gern vor den Spiegel stellen wird. Man spürt den lebenserfahrenen gereiften Therapeuten und Begleiter, dem nichts Menschliche fremd ist. Und der dir liebevoll und freundlich einen kleinen Schubs geben will: versuch es doch mal.
Wer das Vorgängerbuch „Vom Typ zum Original“ (1994) in seinem Bücherschrank stehen hat, erkennt, dass es eine Überarbeitung, kein wirklich neues Buch ist. Viele Passagen sind wörtlich übernommen, manches ein wenig umgestellt, besser formuliert oder formatiert. Gerade bei den Typenbeschreibungen gibt es wenig Neues. Der Ennegrammkenner entdeckt dagegen schmunzelnd, dass das doch ein wenig einsermäßig anmutende „Plädoyer für den Menschen“ am Anfang des Buches entfallen ist. Dafür gibt es am Ende nun nicht mehr zwölf, sondern gleich dreißig Leitlinien zur Entwicklung der Persönlichkeit. Das ist auch die eigentliche Dimension dieses neuen Buches: es ist möglich, sich weiter zu entwickeln. Probier es aus!
Inwiefern es sich lohnt, das neue Buch dazu zu kaufen, wenn man das alte schon hat, muss jeder für sich entscheiden. Ich selbst habe das neue Buch mit großer Faszination gelesen. Erst als ich das andere zum Vergleichen aus dem Regal zog, entdeckte ich erstaunt: das hast du doch fast alles schon mal gelesen. Insofern lohnt es sich auch, mal wieder einen Blick in das erste Buch zu werfen. Manche Erkenntnisse veralten einfach nicht.

Heike Heinze

Aus EnneaForum 38 (11/2010), S. 30 © ÖAE e.V.. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Sandra Maitri

Der Weg zurück zum Selbst
Das Enneagramm der Leidenschaften und Tugenden

Verlag advaitaMedia, Hamburg 2009, ISBN-10: 3936718156

Buchbesprechung

Das Enneagramm wirkt in alle Lebensbereiche hinein. Der wichtigste davon, weil alles umfassend, ist der spirituelle. Er öffnet den Menschen für etwas, das größer ist als er selbst, für den göttlichen Bereich, der einen umfassenden Sinnhorizont eröffnet und in spirituellen Büchern meist etwas abstrakt beschreiben wird. Das ändert sich, wenn Spiritualität mit dem Enneagramm in Verbindung gebracht wird, denn dann hat das alles plötzlich mit uns selbst zu tun, zunächst mit unserem Ego, wie die amerikanische Enneagrammleherin Sandra Maitri in ihrem ersten Buch „Neun Porträts der Seele“ (2001) schreibt: „Es gibt eine Anzahl psychologischer und spiritueller Landkarten, auf denen das Gebiet des Ego verzeichnet ist, aber ich kenne keine, die ähnlich mächtig und wirkungsvoll ist wie das Enneagramm.“

Während sie in ihrem ersten Buch die Fixierungen der einzelnen Typen beschreibt, geht es in ihrem zweiten Buch: „Der Weg zurück zum Selbst“ (Originaltitel: Finding the Way Home, übersetzt von Anama Frühling) um die spirituelle Entwicklung von der typspezifischen Leidenschaft zur jeweiligen Tugend bei den neun Enneatypen. Das Ganze stellt sie in den Zusammenhang einer spirituellen Reise (in Anlehnung an die spirituelle Schule des „Diamond Aproach for Inner Realization“ von A. H. Almaas), bei der es darum geht, den Zugang zu unseren inneren Tiefen zu gewinnen und sie zu erforschen, „dass wir in unsere direkte Erfahrung eintauchen, was immer es auch sein mag.“ Es geht nicht in erster Linie um intellektuelles Verständnis, denn unsere Muster und die damit verbundenen Leidenschaften sind so tief in uns bzw. unserem Unbewussten verankert, dass sie auf diese Weise nicht verändert oder aus Verstrickungen gelöst werden können. Es geht um das Erleben der Leidenschaften, sie „sozusagen in unseren Eingeweiden zu fühlen“ und um das darauf aufbauende Verstehen. Erst dann kann der Antrieb hinter dem Muster und die damit verbundene emotionale Gestimmtheit der Leidenschaft langsam verschwinden und unsere Seele sich entspannen.

Dabei spielen die typspezifischen Tugenden eine wesentliche Rolle, denn sie treten in diesem Prozess als innere Haltungen zu Tage, die dazu führen, dass sich unsere Seele entfalten und wachsen kann, weil sie an unserem wahren Wesen bzw. göttlichen Kern in uns orientiert sind. Die Leidenschaften (zum Beispiel Zorn, Stolz, Täuschung, Neid etc.) sind also der Ausgangspunkt und die Tugenden (zum Beispiel Gelassenheit, Demut, Wahrhaftigkeit, Gleichmut etc.) das lohnende Ziel für unsere innere Entwicklung, oder anders ausgedrückt, für die Transformation unserer von der Persönlichkeitsstruktur geprägten Seele, der Weg zu unserem Selbst.

Der konkreten Beschreibung der einzelnen Leidenschaften räumt die Autorin viel Platz ein und weist dabei immer wieder darauf hin, dass „die Themen und Probleme…für diejenigen, die diesem Typ angehören, stärker sind, aber dennoch Themen und Probleme sind, die wir alle teilen.“ Diese Beschreibungen sind es, die den besonderen Wert des Buches ausmachen, denn sie sind zum einen von einer hohen Sprachsensibilität geprägt, die das Verständnis erleichtert, und zum anderen von einer Wissensfülle, die von Hinweisen zur subatomaren Physik über vielerlei aktuelle gesellschaftliche Bezüge bis hin zu Auszügen aus philosophischen und literarischen Werken reicht. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Integration wichtiger psychoanalytischer Erkenntnisse.

Im Einzelnen beschreibt Sandra Maitri entsprechend der Systematik des inneren Dreiecks mit den Eckpunkten 9-3-6 drei Gruppen: Die nach außen gerichtete Gruppe (9,8,1), die Image-Gruppe (3,2,4) und die Angst-Gruppe (6,5,7). Bei den darin vorkommenden Schlüssel-Begriffen unterscheidet sie zwischen dem üblichen Wortsinn und der hintergründigen Sprache des Enneagramms. Ein Beispiel aus der nach außen gerichteten Gruppe: Die Leidenschaft der Bequemlichkeit bei Punkt 9 bedeutet nicht so sehr bequem im üblichen Wortsinn, sich nur widerwillig zu etwas aufzuraffen, sondern in der Enneagrammsprache bequem, wenn es darum geht, sich selbst Beachtung zu schenken. Und da Punkt 9 als Hauptpunkt auf dem Enneagramm betrachtet wird und damit auch seine typische Leidenschaft am zentralsten ist, erfährt man als Leser an dieser Stelle des Buches auch gleich etwas über den grundsätzlichen Bewusstseinszustand der Menschen, denn „[d]ie meisten von uns vernachlässigen ihr inneres Leben“ und befinden sich in einem schlafähnlichen Zustand, wobei Sandra Maitri auch noch auf das Wesen dieses Schlafs eingeht und damit vor allem die Reduktion der Wahrnehmung auf die physische Dimension der Realität meint. So wird bei Typ Neun das Wesen der Spiritualität als Aufwachen aus dem Schlaf beschrieben und damit zur typspezifischen Tugend übergeleitet: dem Handeln, wobei dieser Begriff wiederum nicht einfach nur beschäftigt sein meint, sondern auf die Anstrengung zielt, die Trägheit der Persönlichkeit, die weiterschlafen will, zu überwinden und damit die gewöhnliche Ausrichtung unseres Bewusstseins zu verlagern. Die Tugend des Handelns praktizieren bedeutet, tun, was erforderlich ist, um präsenter und bewusster zu werden. Weiter wird bei Typ Acht und Typ Eins die psychische Struktur des Menschen nach Sigmund Freud (bei der Acht vor allem das „Es“ und bei der Eins das „Über-Ich“) genauestens erläutert und in Bezug zu den Leidenschaften Wollust und Zorn gesetzt, wobei sich die Autorin als kompetente Freudkennerin auszeichnet und mit diesem Wissen die Enneagrammbegriffe erhellt , z. B. ist „Wollust nicht nur Lust, sondern die Lust, die Befriedigung von Impulsen durchzusetzen“ (zit. nach ihrem spirituellen Lehrer C. Naranjo, den die Autorin wie auch O. Ichazo immer wieder in ihren wesentlichen Aussagen miteinbezieht), so dass sie „von Schuld umgeben“ ist, d.h. von Kampf und einem darin liegenden Triumph.

Der Weg der Acht zur Tugend der Unschuld besteht dann verkürzt formuliert darin, Vorurteile und Vorstellungen über die animalische Seite in sich in Frage zu stellen, d.h. ihnen mit der Haltung der Tugend der Unschuld zu begegnen und sie auf diese Weise in der konkreten Erfahrung zu erforschen. Nur so können sich diese Energien öffnen und integriert werden und nur so kann sich die Acht dann als richtig, ganz und vollkommen erleben.

Bei der Beschreibung der Image-Gruppe geht Sandra Maitri besonders auf den Begriff des Ich-Ideals ein, der nicht nur das Konzept eines idealen Selbst umfasst, sondern auch das eines idealen Partners, eines idealen Kindes und einer idealen Beziehung. Während alle anderen Typen mehr oder weniger versuchen, den Anforderungen ihres Ich-Ideals gerecht zu werden, „gehen die Image-Typen noch einen Schritt weiter und versuchen, sich als dieses Ideal darzustellen“, allen voran die Drei. Bei der Beschreibung der Angstgruppe sei exemplarisch auf ihren kurzen Überblick über die verschiedenen Angsttypen allgemein und über die typspezifischen Ängste hingewiesen.

Auch wenn bei der epischen Darstellungsbreite für den Leser manchmal der rote Faden die Farbe rosa annimmt, wird der Bezug zum jeweiligen Typ immer wieder hergestellt. Die Zusatzinformationen erhellen die Begriffe, die in der Enneagrammarbeit mitunter ins Klischee abrutschen, so wie bei der Neun die Bequemlichkeit, die gerne mit Couch und Kopfkissen assoziiert wird, sodass Maitris detaillierte Bescheibungen den einzelnen Typen besser gerecht werden.

Insgesamt ist Maitris gelungenes Werk kein Buch zum schnellen Durchlesen, sondern zum Immer-Wieder-Lesen, wobei auch kleine Abschnitte zu lesen und auf das konkrete Leben zu übertragen sehr lohnenswert ist. Kurzum: ein Lebensbuch!

Wally Kutscher

Suzanne Zuercher

Ankommen im Einssein

Claudius Verlag 2009, ISBN 978-3-532-62392-3

Buchbesprechung

Ein schmales, eher unscheinbares Buch, wenn man es in den Händen hält. Aber ein spannendes Thema und viele gute Gedanken für die eigene Gebets- und Glaubenspraxis und eine Fundgrube für Kursleiter und geistliche Begleiter.
Schon oft ist mir aufgefallen, dass Menschen auch im Gebets- und Glaubensleben ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben, Verschiedenes brauchen, um zu sich selbst und zu Gott zu finden. Suzanne Zuercher erklärt, warum das so ist und macht praktische Vorschläge. Dabei bleibt sie, aufbauend auf ihre früheren Bücher, konsequent in Triaden und unterscheidet nicht zwischen den einzelnen Typen. Das macht das Buch übersichtlicher. Und es stimmt in verblüffender Weise trotzdem.
Während sie im ersten Teil des Buches allgemein Zugänge der einzelnen Triaden zum Gebet aufzeigt, nimmt sie im zweiten Teil verschiedene Formen der Gebets- und Meditationspraxis unter die Lupe. Das geht vom Focusing über Schöpfungsbetrachtung, Traumarbeit und Gemeinschaftsgebet bis hin zu östlichen Meditationsformen. Dabei behauptet sie nicht, Zen sei etwas für Bauchmenschen, während z. B. Herzmenschen besser Tagebuch schreiben sollten sondern geht behutsam auf jede Form des geistlichen Lebens ein und zeigt auf, wie eben Kopf-, Herz- und Bauchmenschen davon profitieren können, was ihnen gut tut und worauf sie achten sollten. Dabei fließen fundierte Enneagrammkenntnissse und umfangreiche Erfahrungen aus der Praxis geistlichen Lebens und geistlicher Begleitung mit ein.
Das Buch schließt mit einem Kapitel über Kontemplation, in der sie unsere Berufung sieht. Sie geht noch einmal darauf ein, was Kontemplation ist und was nicht. Und auch darauf, welches Hilfsmittel das Enneagramm uns auf unserem geistlichen Weg sein kann. Das alles mit wenigen Sätzen auf wenigen Seiten, dafür aber hoch konzentriert und bis zum Ende spannend.
Ein hilfreiches Buch voller Lebensweisheit, das ich gleich zweimal hintereinander gelesen habe und gelegentlich noch einmal zum Nachschlagen vorhole. Bei dem es sich lohnt, den Rotstift zu nehmen und sich manche Sätze hinter die Ohren zu schreiben. Ein Buch, das ein guter Begleiter werden kann.

Heike Heinze

Aus EnneaForum 37 (05/2010), S. 26 © ÖAE e.V.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Andreas Ebert

Die Spiritualität des Enneagramms

Claudius Verlag, München 2008

Buchbesprechung
Unterwegs auf dem Pfad der Wandlung

Beim Lesen dieses Buches fällt eines rasch auf: es ist aus der dreifachen Perspektive eines spirituellen Begleiters, evangelischen Theologen und langjährigen Gemeindeleiters geschrieben. So zeichnet es sich gegenüber anderen Enneagrammbüchern schon dadurch aus, dass es das Gesichtsfeld und den Gestaltungsrahmen für enneagrammatisch unterstützte Entwicklungsprozesse nicht auf die therapeutische Ebene beschränkt. Der Seelsorger sensibilisiert den Blick für die ganz individuell verlaufende, lebenslange Entfaltung der Persönlichkeit innerhalb, aber auch außerhalb des jeweiligen Musters. Der Theologe verlinkt das Enneagramm mit historischen Entwicklungslinien der spirituellen Transformationsarbeit in Christentum und Islam und verknüpft sie mit moderner Visionssuche. Der Gemeindeleiter lädt Enneagrammleser ein, sich zu überschreiten und Selbstwerdung nicht nur vom Ich her zu verstehen, sondern auch vom Wir und der Weisheit des größeren Ganzen. Andreas Ebert orientiert sich dabei am paulinisch-systemisch-organischen Modell vom Leib Christi und seinen Gliedern. Jedes Glied ist wichtig und doch angewiesen auf das Zusammenspiel mit allen anderen. Diese christologische und an Heilung orientierte Sichtweise erfasst die Anschubkraft des Enneagramms für gesündere und verbindliche Beziehungsprozesse, die Partnerschaft, Familie und Gemeinschaften umgreifen.
Die Mitte des Buches bilden drei Themenschwerpunkte: Das Enneagramm als Prozessmodell, Langzeitbiografien zu den neun Mustern und eine ausführliche Darstellung der Lehre von den Leidenschaften bei den Wüstenvätern.
1. Das Prozessmodell verdeutlicht, wie Wandlung verläuft, wie Lebenskrisen durchschritten werden können, wie Rückfälle verkraftbarer werden. Als Erklärungsmodell biblischer Heilungsgeschichten wirkt es verblüffend einsichtig. Es wäre allerdings auch spannend gewesen, zu erfahren, ob nicht die eine oder andere der folgenden neun Langzeitbiografien exemplarisch mit dem Prozessmodell hätte ausgeleuchtet werden können.
2. Andreas Ebert hat für den „Weg der Befreiung“ neun Typen-Vertreter gebeten, ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Jeder (bisweilen etwas zu ausführliche) Langzeit-Rückblick zeigt auf seine ganz eigene Weise – bestürzend, befreiend und ermutigend –, dass unsere spirituelle Reifung zahllosen Umbrüchen, Perspektivewechseln und Lernprozessen unterworfen ist, nicht selten stark unterstützt durch die Selbstauseinandersetzung mit dem eigenen Enneagramm-Muster. Es sind „offene“ Geschichten von Verlorenen, Sehnsüchtigen, Unfertigen und doch zugleich Werdenden, die sich ihre Wege selbst bahnen mussten; Geschichten also, die allesamt als spirituelle „Heldenreisen“ angesehen werden dürfen. Dabei wird auch deutlich, wie unbegleitet vom kirchlichen Feld diese Selbstfindungsprozesse oft ablaufen mussten, wie schmerzlich sich das Fehlen sinnstiftender Orientierungsmöglichkeiten auswirkt und wie befreiend dann die Begegnung mit der Typologie und Kennern des Enneagramms erlebt wurde. Auch von spontanen, „unverdienten“ Gipfelerlebnissen ist bisweilen die Rede, von Augenblicken, in denen sich die Gottesliebe erlaubt, mit ihrer ganzen Fülle und Strahlkraft in ein Menschenleben einzubrechen. In solchen Momenten verlässt man die Hoheitsgewässer des eigenen Musters und erlebt sich in einem solchen Zustand als freier Mensch in einer Weite, wie sie nur die Gegenwart des GEISTES erzeugen kann.
Zur Weisheit des spirituellen Arbeitens mit dem Enneagramm gehört die Grundregel: Keine Transformation ohne aufrichtige Schattenarbeit. So vermag jeder, der genau liest, in diesen Lebensberichten zu erkennen, dass dank intensiver Schattenarbeit mit dem Enneagramm immer wieder auch ein Fortschritt zu einer nächst höheren (umfassenderen) Bewusstseinsstufe gelingt. Da wird das stark mythisch geprägte Bild vom strafenden, rachsüchtigen Gott überwunden, ein liebevolleres Gottesbild tritt an seine Stelle. Oder es gelingt ein Bewusstseinswandel weg von einer stark egozentrisch ausgerichteten Religiosität hin zu einem soziozentrischen Weltbild, in dem man sich als eigenständiger, aber zugleich eingebundener Teil einer größeren Gemeinschaft erfährt.
Andreas Ebert hat immer offen über sein eigenes Muster der ZWEI gesprochen und so stellt er sich auch in diesem Buch als konsequenterweise mitten unter die Vertreter der Herztypen. Er schildert eigene Erfahrungen in seinem Ringen mit dem Muster und macht deutlich, dass für ihn selbst letztlich das kontemplative Gebet (Herzensgebet) der entscheidene Ort für Verwandlung war und ist. Spätestens hier wird beim Lesen klar: Hier schreibt kein distanzierter Enneagramm-Guru, sondern ein liebenswürdiger, lernfähiger Menschenfreund in der Nachfolge Jesu.
3. Die Darstellung der Leidenschaftslehre bei den Wüstenvätern, allen voran Evagrius Ponticus, ist ein Highlight des Buches. Die fortsteigende Durchdringung von Leib, Seele und Geist darf als frühe geistiges Entwicklungstheorie verstanden werden, die in evolutionären mystischen Modellen der Neuzeit ihre Fortsetzung erlebt, u. a. in Teilhard de Chardins Konzeption vom Christusbewusstsein als höchster Entwicklungsstufe und Omega Punkt, zu dem hin alle lebendige Bewegung im Kosmos strebt, um mit ihm in Liebe eins zu sein. Wer sich hier selbst verorten möchte, kann dies mit Hilfe eines Fragenkataloges tun, der auch ein vorzügliches Instrument für Enneagrammexerzitien darstellt. Hier wird deutlich, dass geistliche Reifung darin besteht, den Blick vom persönlichen Muster auf die Wahrnehmung aller neun Leidenschaften und ihrer Fehlhaltungen im eigenen Sein auszudehnen. Der Suchende, so möchte man hinzufügen, gewinnt auf diesem Weg eine paradoxe Erkenntnis: wenn er alle neun Schattenfelder als seine eigenen bei sich selbst erfassen kann (was überaus schmerzlich ist), erlebt er zugleich darin die Befreiung zu einer beglückenden Weite und Ganzheit. Er erkennt schließlich, dass er selbst das ganze Enneagramm ist, das niemanden mehr ausschließen kann.
Dieses klar geschriebene, schön gestaltete Enneagrammbuch wendet sich an Enneagrammkenner, die ihre Selbstwahrnehmung vertiefen und sich selbst immer wieder überschreiten möchten. Die Stärke des Buches liegt nicht zuletzt in der beeindruckenden Fülle an methodischen Zugängen, die Andreas Ebert dafür anbietet: Kontemplation und Herzensgebet, gemeinschaftliche Bibelauslegung durch Bibliolog, transformatorische Körperarbeit, ignatianische Exerzitien, Thomasmesse, Straßenexerzitien, Pilgerreisen, gewaltfreie Kommunikation nach Alfons Marshall B. Rosenberg, systemische Verstrickung und Heilung nach Kenneth McAll, biografische Arbeit u.a.m.
Neun „Hinweise“ für eine gesunde spirituelle Haltung beschließen das Buch, das in der Summe ein ebenso dicht wie klug formuliertes Orientierungsfeld darstellt, das man jedem spirituellen Sucher ans Herz legen möchte.

Marion Küstenmacher

Aus EnneaForum 36 (November 2009), S. 31-32 © ÖAE e.V.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Andreas Ebert, Marion Küstenmacher

Die Perlen der Seele
Meditieren mit dem Enneagramm

(mit Perlenband und Leporello für unterwegs)
Claudius Verlag 2009, ISBN 978-3-532-62386-2

Buchbesprechung
Perlen als Begleiter bei Tag und bei Nacht: Ein kleines Buch – ein großes Geschenk

Perlenketten als Gebetsbegleiter gibt es in vielen Religionen – allein in der christlichen Tradition kennen wir den Rosenkranz, das Komboloi, den Tschotki und die „Perlen des Glaubens“. Marion Küstenmacher und Andreas Ebert haben nun ein Perlenband entwickelt, das im Kontext der spirituellen Arbeit mit dem Enneagramm ganz neue Wege eröffnet.
Die Überlieferung aufgreifend, das jedem Enneagrammmuster eine Farbe zugeordnet werden kann, haben sie ein Gebetsband entworfen, in dem jedes Enneagrammmuster durch eine farbige Perle vertreten ist; die neun farbigen Perlen (silber, rot, gelb, violett, blau, braun, grün, schwarz-weiß, gold), eine transparente Perle der Transzendenz und acht weiße Perlen der Stille bilden den Perlenkranz.
In der Einführung zum Thema „Gebetsketten“ wird das Anliegen der Autoren, ein solches Hilfsmittel auch für das Gebet mit dem Enneagramm vorzustellen, sofort nachvollziehbar. Allerdings ist die kurze Erläuterung zum Rosenkranz – er diene vor allem dem Marienlob – nicht zutreffend. Hier wäre eine kleine Korrektur nötig.
In einem kurzen Kapitel stellen uns die Autoren anschließend die „Perlen der Seele“ einzeln vor, beschreiben uns in kurzen Worten ihre Qualität – natürlich begründet in den Eigenschaften des entsprechenden Enneagrammmusters -, liefern Assoziationen zur Farbe und fassen die Haupteigenschaft jeder Perle in einem Kernsatz zusammen. Das geschieht auf so prägnante Weise, dass der Leser nach diesen Seiten mit seinem Perlenband absolut vertraut ist.
Den Hauptteil des Büchleins aber bilden faszinierende Gebetsanregungen der verschiedensten Art. Um sie sich zu Eigen zu machen, spielt es keine Rolle, welches Muster der Beter für sich persönlich als das besonders ausgeprägte entdeckt hat. Die Texte machen vielmehr aufmerksam auf die Vielfalt, die uns das Enneagramm erschließt – in der eigenen Persönlichkeit wie in der unserer Mitmenschen. Und sie bieten Vorlagen für die unterschiedlichsten Gelegenheiten:
So finden wir den Segens- und den Schattenkranz unter „Selbsterforschung“, unter „Basisgebete“ den Morgenkranz, den Vaterunser-Kranz und den Abendkranz. Auch das Prozessmodell, mit dessen Hilfe sich beispielsweise Entscheidungsprozesse besser strukturieren lassen, hat ein eigenes Kapitel erhalten. Es ist staunenswert, wie die 10 Gebote ihren überzeugenden Platz in dem Perlenkranz finden, und mit dem Friedenskranz bekommen wir die Anregung für ein gemeinsames Gebet in Gruppen.
Ich hatte die große Freude, nach einem Seminar mit Marion Küstenmacher und Andreas Ebert im Mai 2009 diese wunderbare Idee gleich in zwei eigenen Kursen weitervermitteln zu können. Für blinde und sehbehinderte Teilnehmer gab es dabei Bänder mit Perlen unterschiedlicher Tastqualität. Und es ist bereits ein Perlenkranz im Kleinformat für die Hosentasche entstanden. Ich weiß von Teilnehmern, die – wie ich selber – den Perlenkranz sehr schnell zu ihrem ständigen Begleiter gewählt haben. „Jetzt wird mir der Reichtum, den mir das Enneagramm schenken kann, erst richtig bewusst“, fasste jemand seine ersten Eindrücke zusammen.
Die „Perlen der Seele“ laden ein zum eigenen Weiterbeten und Fortschreiben – bei Tag, bei Nacht, in eigenen und fremden Anliegen, in Freude und Leid, Angst und Dankbarkeit, allein und gemeinsam. Wer den Kranz bei sich trägt, findet immer wieder neue Situationen, in denen es hilft, ihn zu meditieren: Eine Freundin hat eine Operation vor sich, sie hat beim Seminar einen Perlenkranz bekommen, speziell für die Vorbereitung auf den Eingriff formuliert; und die Kursteilnehmer unterstützen sie im fürbittenden Gebet. Vor einem Trauergottesdienst meditiere ich, welche Eigenschaften des Verstorbenen mir bei jeder einzelnen Perle einfallen – das Gebet wird zu einem Kranz großer Dankbarkeit, diesen Menschen gekannt zu haben.
Mit den „Perlen der Seele“ haben Marion Küstenmacher und Andreas Ebert all jenen, die an der spirituellen Dimension des Enneagramms interessiert sind, ein großes Geschenk gemacht!

Margrita Appelhans

Aus EnneaForum 37 (Mai 2010), S. 21 © ÖAE e.V.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Richard Rohr

Vom wilden Mann zum weisen Mann

Claudius Verlag, 3. Auflage 2013, ISBN 978-3-532-62334-3

Richard Rohr

Endlich Mann werden

Claudius Verlag; 2. Aufl. 2009, ISBN 978-3-532-62325-1

Michael Th. Schulz

Enneagramm, Spiritualität und Theologie der Zukunft
Anläufe und Verbindungen – Materialien und Vernetzungen

Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, 2006, ISBN: 3-7887-2128-6

Buchbesprechung

Mit Geleitworten von Andreas Ebert und Klaus Raschzok

Dieses Buch ist ein umfassendes geistliches und theologisches Werk. Im Dialog mit spirituellen und theologischen Gesprächspartnern erschließt es den Raum zukunftsträchtiger christlicher Spiritualität und Theologie. Wesentliche Gesprächspartner sind: Romano Guardini, Anselm Grün, Richard Rohr, Helen Palmer, Manfred Seitz und Pierre Teilhard de Chardin. Christliche Enneagrammarbeit wird als legitime Aufgabe von Theologie und als Hilfe für geistliche Begleitung und missionarische Arbeit vorgestellt.

Uwe Böschemeyer

Vom Typ zum Original
Die neun Gesichter der Seele und das eigene Gesicht

BoD GmbH Norderstedt 2005, ISBN 3833438053

Johannes Bartels

„mitten in die Seele hinein“
Das Enneagramm im Kontext religiöser Erwachsenenbildung

Reihe Religionspädagogische Kontexte und Konzepte Bd. 13, LIT Verlag Münster 2005, ISBN 3-8258-7282-3

Buchbesprechung

Vorerst ist die gute Lesbarkeit dieser Dissertation lobend hervorzuheben. Das Buch ist in allen Teilen auch für ‹Laien› verständlich, und der sonst übliche Fachjargon wird vermieden.
Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile: Zuerst bietet es eine sorgfältig recherchierte Darstellung des Enneagramms in Geschichte und Gegenwart. Im zweiten Teil stellt Bartels aufgrund der aktuellen Fachdiskussion seinen Ansatz der Erwachsenenbildung vor, auf dessen Hintergrund er im anschließenden dritten Teil ausgewählte Sequenzen lebendiger Arbeit mit dem Enneagramm analysiert.
Johannes Bartels geht es auch um die Beantwortung der Frage, ob und wie sich christliche – speziell protestantische – Theologie und das Enneagramm gegenseitig vertragen. Dies beantwortet er im letzten und vierten Teil seiner Studie positiv und mit vertiefenden Hinweisen.
Mit seiner ‹genetischen Rekonstruktion› der Geschichte des Enneagramms wissen wir es nun definitiv: das Enneagramm ist zwar ein altes (kosmisches) Symbol, aber als Persönlichkeitstypologie, wie wir das Enneagramm heute benutzen, geht sie auf das legendäre Arica-Training 1971 von Oscar Ichazo zurück. Es gibt zwar ältere – und mit den Wüstenvätern des 4. Jahrhunderts auch alte – Vorläufer und Ahnungen der schließlich im Enneagramm Oscar Ichazo›s zusammengefassten Gesetzmäßigkeiten. Besonders interessant ist die Darstellung der dem Enneagramm ähnlichen Figuren von Raimund Lull (Ende 13. Jh.) und Athanasius Kircher (17. Jh.), die jedoch nach Bartels nicht guten Gewissens in die Überlieferungslinie des Enneagramms gestellt werden können. Als ‹weisheitliche Charaktertypologie›, die weder historisch noch wissenschaftlich hergeleitet und bewiesen werden kann, legitimiert sich das Enneagramm einzig durch seine Evidenz. Johannes Bartels spricht von willkürlichen Setzungen (S. 70), die 1971 getroffen wurden, ich würde sie eher als intuitiv gefundene Entdeckungen von psychisch-spirituellen Gesetzmäßigkeiten bezeichnen, die vermutlich mit wachsender Erkenntnis in absehbarer Zeit auch theoretisch breiter abgestützt werden können.
Für die Bildungstheorie (Erwachsenenbildung) stützt sich Johannes Bartels insbesondere auf die Ansätze der ‹Perspektivenverschränkung› und der ‹Verknüpfung von Deutungsmustern›, die bildende, entwickelnde und transformative Effekte bei Teilnehmern an Bildungsprozessen bewirken. Für die theologisch-kirchliche Erwachsenenbildung wird auf die vielbenutzte Korrelationsdidaktik (Glaube/Theologie und Leben/Alltag werden aufeinander bezogen) von Paul Tillich verwiesen.
Zu diesem Ansatz passt nun das Enneagramm wie die Hand zum Handschuh. Johannes Bartels untersucht dazu Sequenzen von Panel-Interviews aus dem Zürcher Seminar, wie sie Helen Palmer im Gefolge von Claudio Naranjo entwickelt hat.
Bartels geht ins Einzelne: Aus 6 sorgfältig editierten Transkripten analysiert er Schlüsselpassagen unter verschiedenen erwachsenenbildnerischen und theologischen Aspekten. Die Wiedergabe und sorgfältige Analyse dieser Passagen aus dem Zürcher Seminar stellen das Herzstück der Studie dar. Es ist interessant – und plastisch – Helen Palmer auf diese Weise über die Schultern blicken zu können. Ich war ja selbst dabei, staune jedoch, wie vielschichtig das Geschehen auf einem Panel sein kann. Es gelingt Johannes Bartels in erstaunlicher Weise, nicht nur das sachliche, sondern auch das emotionale Geschehen erlebbar – und darin die verschiedenen pädagogischen Ebenen und Aspekte sichtbar zu machen.
In der ‹Synthese› seiner Studie empfiehlt er zunächst den Weg von der ‹gesetzlichen zur heuristischen Anwendung des Enneagramms›. Hier überzeugen mich nicht alle Schlussfolgerungen: die ‹Nebenstrukturen› wie Flügel, Triaden, Pfeile und die Subtypen vermögen gerade den heuristischen Wert des Enneagramms meiner Erfahrung nach zu steigern: man findet mehr, Präziseres und auch für die Entwicklung Hilfreicheres als ohne sie.
Wo ich jedoch aus vollem Herzen zustimme ist, dass – gerade vom Evangelium her gesehen – der Mensch immer ‹mehr› ist als bloss ein Typ.
Mit der These ‹vom Mythos der Ganzheit zur Akzeptanz der Fragmentarität› steckt Bartels dem Machbarkeitsdenken der Transformation Grenzen. Die Leistungskraft der Arbeit an sich selbst ist begrenzt; und vermessen, wer glaubt, sein Ego definitiv und vollständig überwunden zu haben. Obschon Bartels bei Gurdjieff und Ichazo vollmundige Zitate dieser Art findet und aufführt, rennt er meines Erachtens hier offene Türen ein: die großen Enneagrammlehrer sind hier realistisch genug – und ich kenne keinen, der entwicklungspsychologische mit soteriologischen Kategorien verwechselt. Die missverständliche Rede vom ‹erlösten› Typen bei Rohr/Ebert ist in der Neuausgabe korrigiert. Meiner Erfahrung nach gibt es jedoch tatsächlich, – entwicklungspsychologisch und sogar entwicklungsspirituell – reifere und unreifere Ausprägungen eines Typs. Interessanterweise gehören m.E. immer wieder diejenigen Menschen zu den am weitesten ‹Transformierten›, die sich mit schweren Schicksalsschlägen oder Krankheiten auseinandersetzen mussten, die also (um die Gurdjieff›schen Kategorien zu benutzen) eben gerade nicht durch ‹freiwilliges Leiden› so weit gekommen sind. Mir macht fast den Anschein, also ob Bartels die Unterscheidung von ‹Stufen› der persönlichen Entwicklung grundsätzlich ablehnen würde. Ich selbst habe jedoch gerade im Enneagramm eine Art Landkarte gefunden, anhand derer auch in dieser Frage eine sorgfältige und differenzierte Orientierung gefunden werden kann, wie ich sie bei keinem zweiten System auch nur annähernd finde – und mir im Alltag die Augen dafür aufgehen (womit wir nochmals bei der Evidenz wären). Dass das Leben – und Entwicklung – fragmentarisch ist und bleibt, halte ich für eine der hilfreichsten ‹Ent-Täuschungen› des Enneagramms selbst.
Sehr interessant finde ich Bartels Vertiefung ‹von den Barrieren zur Wurzelsünde›: Er stellt fest, dass zwar nicht das Enneagramm selbst, jedoch Anwender oft einem oberflächlichen Sündenverständnis unterliegen. Man nimmt lieber Begriffe wie ‹Fehler›, ‹Barrieren› und ‹Behinderungen› in den Mund, um dem radikaleren Begriff ‹Sünde› auszuweichen (ein anderes Indiz dafür ist, dass in Enneagrammseminaren viele immer schon zu den ‹Erlösteren› gehören wollen, auch wenn sie erst Umrisse ihres Typs erkannt haben). ‹Sünde› meint eine grundsätzliche Zielverfehlung, und Bartels stellt fest, dass sogar Rohr und Ebert davon streckenweise einen zu verharmlosenden Gebrauch machen. Sünde meint im Kern, dass ich mein Vertrauen, wenns darauf ankommt, lieber auf meine Persönlichkeit (meinen Typ) als auf Gott setze.
Hier scheint mir Claudio Naranjo klarer, da bei ihm der Typ an sich die Krankheit darstellt, und nicht bloss die ‹problematischen Aspekte› des Typs. Zustimmen möchte ich der – zutiefst evangelischen – Einsicht, dass erst aus dem Licht der Glaubens das ganze Kaliber dessen, was mit Sünde gemeint ist, und die ganze Destruktivität, die wir im Alltag mit dem Ausagieren unseres Typs in den Welt setzen, erst als solches zum Vorschein kommt – erst in diesem Licht überhaupt erkannt werden kann. Insofern ist Sünde immer ‹Todsünde›. Bartels stützt sich hier auf die klassisch lutherische Rechtfertigungslehre und fordert aus dieser Perpektive eine ‹theologische Vertiefung des Sündenverständnisses›. Weniger zustimmen möchte ich ihm in der Sache, den Menschen nur als Sünder zu definieren. Er ist auch Geschöpf und Ebenbild Gottes, trotz seines Falls – und er ist aufgefordert (und in gewisser Weise auch fähig im Sinne von dafür würdig befunden), das seine zur Umkehr beizutragen. Ich erinnere hier an Matthew Fox’ bereits wieder etwas in Vergessenheit geratenes Buch ‹Der Große Segen›, der den ersten Glaubensartikel gegenüber einer zu extremen christologischen Engführung insbesondere der protestantischen Theologe in Erinnerung ruft. Ob der Mensch einen gesunden ‹natürlichen› Kern hat (das umstrittene Thema der natürlichen Theologie), oder zugespitzt gefragt: ob im Menschen gar – nebst der Sünde – auch ein ‹göttlicher Kern› zu finden ist oder zumindest schlummert (was nicht nur eine esoterisch anmutende Formulierung ist, sondern in der Ostkirche seit je her auch geglaubt wird), ist in der protestantischen Theologie eine immer noch ungelöste Frage. Ich plädiere hier für Luther und Fox, ein radikales ‹Sowohl als Auch›.
Aber Johannes Bartels hat sicher recht, wenn er am Schluss davor warnt, dass die ‹Fortgeschrittenen› und Menschen, die ‹an sich arbeiten›, oft (im schlimmsten Fall sogar: vor allem) ein elitäres Selbstbewusstsein entwickeln, um sich pharisäisch von den ‹Unbewussten› abzuheben. Bereits den Wüstenvätern war bewusst, dass es am Schluss nochmals dem (spirituellen) ‹Stolz› an den Kragen gehen muss. Bescheidenheit gehört nach wie vor zu einem der wichtigsten Markenzeichen wahrer Meister. Man trifft sie vorzugsweise bei solchen, die tatsächlich in die Tiefe gegangen sind bzw. gehen mussten. Es gibt beim Enneagramm fast nichts Schlimmeres, als nicht ‹den Geist des Anfängers› zu bewahren, weil der Missbrauch sich so subtil nahe neben dem eigentlichen Gebrauch einnisten kann. Niemand soll (vorschnell) behaupten, dass er z.B. seine Wurzelsünde bereits umfassend erkannt hat oder gar frei geworden sei davor im Alltag.
Johannes Bartels Buch ist allen – gerade auch eingefleischten – Enneagrammern wärmstens zur Lektüre empfohlen.

Samuel Jakob
in EnneaForum Nr. 27, Mai 2005, S. 28-29

Johannes Bartels hat im Zuge seiner Vorarbeiten mehrere Artikel im EnneaForum veröffentlicht, nämlich vor allem die Reihe „Auf den Spuren des Enneagramms„:

Teil 1 – Das Enneagramm Gurdjieffs: Eine ganze Heilsgeschichte in einem Zeichen
Teil 2 – Das Enneagramm Ichazos – Neun Wege zur Erleuchtung
Teil 3 – Die „jesuitische“ Spur: Das „getaufte“ Enneagramm
Teil 4 – Die Suche nach dem „Ur-Enneagramm“.

Auf den Spuren des Enneagramms 1
Johannes Bartels
Teil I: Das Enneagramm Gurdjieffs: Eine ganze Heilsgeschichte in einem Zeichen

Woher kommt das Enneagramm? Dieser ebenso spannenden wie schwierigen Frage geht Johannes Bartels im Rahmen einer kleinen Serie in dieser und den folgenden Ausgaben von EnneaForum nach: „Auf den Spuren des Enneagramms“. Der älteste sichere Beleg des Enneagramms entstammt der Lehre Georg Iwanowitsch Gurdjieffs, eines „Magiers, Mystikers und Menschenfängers“ aus dem Kaukasus.
Ob bei mittelalterlichen Derwischen oder bei christlichen „Wüstenvätern“ des vierten Jahrhunderts, ob bei Pythagoras oder Homer oder gar bei den Chaldäern um 3500 vor Christus (!) – überall meint man, Vorstufen des Enneagramms zu finden. Und in der Tat erweisen sich manche Teilideen des Enneagramms als sehr alt. Doch all diese Vorstufen sind noch nicht das Enneagramm selbst. „Enneagramm“ bedeutet wörtlich nichts anderes als „Neunerfigur“, und daher liegt das fertige Enneagramm m.E. erst dann vor, wenn wenigstens die Geometrie des Neunecks komplett ist.
Das in diesem Sinne fertige Enneagramm ist nicht vor 1916 öffentlich bekannt geworden. 1916 ? in diesem Jahr hat der Kaukasier Georg Iwanowitsch Gurdjieff das Enneagramm erstmals seinen Schülern in Petersburg vorgestellt, wie wir aus den Mitschriften von P.D.Ouspensky wissen. Möglicherweise ist das Enneagramm schon vorher bekannt gewesen. Doch das zu belegen ist bisher – trotz intensiven Suchens – noch niemandem gelungen. Und solange die Belege fehlen, bleiben solche Vorschläge spekulativ. Und solange beginnt der Enneagrammfaden also bei Gurdjieff.

Wer war Gurdjieff?
Gurdjieff wurde wahrscheinlich 1866 im russischen Alexandropol nahe der türkischen Grenze geboren.1 1878 siedelte seine Familie in die kurz zuvor russisch gewordene Stadt Kars über, ein Gebiet, in dem aufgrund seiner wechselhaften Geschichte christliche, armenische, assyrische, islamische und zoroastrische Elemente einander beeinflußten. Als Dreizehnjähriger wurde Gurdjieff von einem russisch-orthodoxen Priester unterrichtet, der auf ihn aufmerksam geworden war. Als sein Mentor einen langen krankheitsbedingten Urlaub antrat, ging Gurdjieff nach Tiflis, studierte dort aber nicht, wie geplant, Theologie, sondern arbeitete als Heizer bei der Transkaukasischen Eisenbahngesellschaft – ein Beruf, der nur der erste von vielen verschiedenen Tätigkeiten bleiben sollte, die Gurdjieff im Laufe seines Lebens ausübte. Sein Interesse für Religion und Philosophie bewahrte er sich jedoch, und so verbrachte er einen großen Teil der nächsten dreißig Jahre mit verschiedenen Pilgerreisen und „Expeditionen“, wie er sich gerne ausdrückte, in den nahen, mittleren und fernen Osten. Bevorzugte Reiseziele waren sufistische und buddhistische Klöster. Gurdjieff hat später seine Spuren in diesem für uns so wichtigen Lebensabschnitt verwischt, und so tappen wir bei der genauen Lokalisierung so mancher Reisestation im Dunkeln. Das betrifft leider auch die Reise in jenes „Kloster Sarmung“, wo Gurdjieff angeblich auf das Enneagramm gestoßen ist. Nach der Beschreibung dieser Reise, die uns Gurdjieff hinterlassen hat, wurde er mit verbundenen Augen auf einem zwölftägigen Ponytreck von Buchara aus zum Derwisch-Kloster Sarmung geführt. Der Bericht von dem dortigen Aufenthalt erwähnt jedoch das Enneagramm mit keinem Wort – wohl aber die „Heiligen Tänze“, die in Gurdjieffs späterem Wirken eng mit dem Enneagramm verbunden sind. Die ganze Geschichte von dem Besuch bei den Sarmung-Derwischen mutet so mythisch an, daß einige Kommentatoren dafür plädieren, sie nicht wörtlich, sondern allegorisch zu verstehen. Ein aus dem Jahre 1965 datierender Bericht des britischen Majors Desmond Martin von einer Reise zu einem nordafghanischen Derwisch-Orden deutet aber immerhin darauf hin, daß die Enneagramm-Figur in dieser Gegend heute bekannt ist – die Frage ist nur, ob dies auch schon für die Zeit zutrifft, bevor Gurdjieff die Verbreitung des Enneagramms in Gang setzte.2 Ob Gurdjieff das Enneagramm nun von den Derwischen übernommen hat oder nicht – sicher ist jedenfalls, daß er es mit einer eigenen Deutung versehen hat.
Ab 1915 gewinnt Gurdjieffs Leben für uns deutlichere Konturen. Denn in diesem Jahr traf er in Moskau auf den Mann, der bald sein eifrigster Schüler werden sollte und der der Nachwelt seine sorgfältigen Aufzeichnungen der „Vorlesungen“ Gurdjieffs überlassen hat: Piotr Demianowitsch Ouspensky (1878?1947). Ouspensky war Philosoph und Journalist und seit einiger Zeit „auf der Suche nach dem Wunderbaren“ – so der Titel seines opus magnum, in dem Gurdjieff die Hauptrolle spielt.3 In Gurdjieffs Person und Lehre meinte Ouspensky jenes Wunderbare zu finden, das er gesucht hatte. Wie aus den Aufzeichnungen Ouspenskys hervorgeht, sammelte Gurdjieff in Moskau wie auch in Petersburg mehrere Schüler um sich, denen er ein umfassendes esoterisches „System“ nahebrachte, das kosmologische, alchemistische und numerologische Elemente ebenso beinhaltete wie anthropologische und psychologische Lehrstücke. Das Enneagramm, mit dem sich das Petersburger Kolleg 1916 zu beschäftigen begann, berührt alle diese Bereiche gleichermaßen.
Durch den ersten Weltkrieg wurden Gurdjieff und seine Schüler gezwungen, Rußland zu verlassen. Nach einer langjährigen Odyssee durch den Kaukasus über Tiflis landete Gurdjieff schließlich 1922 in Frankreich und erwarb ein Schloß bei Paris, um dort sein „Institut zur harmonischen Entwicklung des Menschen“ aufzubauen. Die finanziellen Mittel für dieses Projekt erhielt Gurdjieff zum einen von – in erster Linie suchtkranken – Privatpatienten, die er durch Hypnose therapierte, zum anderen aus großzügigen Spenden vermögender SchülerInnen. Die folgenden Jahre brachten internationalen Zulauf und wiederholte Vortragsreisen in die usa. Unter Gurdjieffs SchülerInnen befanden sich sowohl Prominente und Intellektuelle aus Westeuropa und den usa als auch verarmte russische EmigrantInnen. Die theoretische Lehrtätigkeit wich nun mehr und mehr einem Programm, das neben schwerer körperlicher Arbeit und rituellen Festmählern auch die sogenannten „Gurdjieff movements“, physisch-mentale Übungen zur Förderung eines konzentrierten, wachen Bewußtseins, beinhaltete. Einer ähnlichen Zielsetzung dienten auch die „Heiligen Tänze“, die bis zur Perfektion einstudiert wurden. Im Zusammenhang mit diesen Tänzen tauchte nun das Enneagramm wieder auf, und zwar als choreographische Grundfigur: „Auf den Boden der Halle, in der die Übungen stattfanden, wurde ein großes Enneagramm gezeichnet, und die an den Übungen teilnehmenden Schüler standen an den Stellen, die mit den Zahlen 1 bis 9 bezeichnet waren. Und dann begannen sie sich…in einer sehr interessanten Bewegung zu bewegen, wobei sie sich an den Treffpunkten umeinander drehten, das heißt an den Punkten, wo sich im Enneagramm die Linien kreuzten.“ (S.433f)
Gurdjieff starb 1949 in Paris. In der Erinnerung vieler blieb er ein wichtiger Vermittler zwischen östlichem und westlichem Denken, zwischen östlicher und westlicher Religiosität. „Sowohl im Werk dieses Mannes als auch in seinem Denken – in dem, was er tat, und in der Art, wie er es tat – begegnet der Okzident wirklich dem Orient.“4

Was bedeutet nun Gurdjieffs Enneagramm?
Zuallererst ist festzustellen, daß das Enneagramm, obwohl es heute fast ausschließlich als Charaktertypologie verstanden wird, für Gurdjieff mit einer solchen Typologie nichts zu tun hatte. Das Enneagramm als Typologie haben einige Jahrzehnte später erst Rodney Collin und dann vor allem Oscar Ichazo entwickelt. Für Gurdjieff symbolisierte das Enneagramm keine Charaktertypologie, sondern – in erster Linie jedenfalls – eine esoterische Heilslehre.
Bekanntlich besteht das Enneagramm aus einem unregelmäßigen Sechseck, einem regelmäßigen Dreieck und einem Kreis, der die anderen beiden Figuren umschließt. Alle drei Elemente haben jeweils ihre eigene Bedeutung. Kurz gesagt steht das Hexagramm für die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, das Dreieck für den rettenden Ausweg und der Kreis schließlich für das Ziel der vollendeten Erlösung. Das Enneagramm Gurdjieffs beinhaltet also eine komplette „Heilsgeschichte“, die ihren Ausgang bei der Misere des Menschen nimmt und durch die Krise hindurch zur Erlösung führt.
Beginnen wir mit dem zuletzt genannten Element, dem Hexagramm. Merkwürdigerweise steht es bei Gurdjieff, obwohl es nur sechs Ecken hat, für das „Gesetz der Oktave“. Nun besteht eine Oktave zwar aus acht Tonschritten, doch dazwischen liegen sieben Intervalle. Daher bezeichnet Gurdjieff das Oktavgesetz auch als „Gesetz der Sieben“. Und trotzdem fehlt dem Sechseck noch eine Ecke, um das Oktavgesetz bildlich zu repräsentieren. Eigentlich müßte das Gesetz der Sieben durch ein Siebeneck dargestellt werden und nicht durch ein Sechseck. Doch Gurdjieff läßt sich davon keineswegs in Verlegenheit bringen. Die sechs Ecken des Hexagramms liegen auf den Punkten 1, 2, 4, 5, 7 und 8 der in neun Abschnitte unterteilten Kreislinie. Der Punkt, der dem Hexagramm fehlt, um die Sieben vollzumachen, wird nun einfach aus dem Dreieck entnommen. Es handelt sich dabei um Punkt 9, der ganz oben auf dem Kreis liegt. Er stellt den Grundton der Tonleiter dar, also einerseits c und andererseits das oktavierte c, während die dazwischen liegenden Töne, also d, e, f, etc., durch die sechs Punkte des Hexagramms symbolisiert werden.
Die Bedeutung des Oktavgesetzes ist nun freilich noch komplizierter als seine bildliche Darstellung. Gurdjieff versteht das Oktavgesetz in erster Linie als „Prinzip der Kraftabweichung“. Das Prinzip der Kraftabweichung bestimmt die „Unstetigkeit von Schwingungen“ und konstatiert, „daß es das bestimmte und notwendige Kennzeichen aller in der Natur vorkommenden Schwingungen ist, gleich, ob sie auf- oder absteigen, daß sie sich nicht einförmig, sondern mit periodischer Beschleunigung und Verlangsamung entwickeln“ (S.179). Als Beispiel führt Gurdjieff die sich unregelmäßig verändernde Frequenz innerhalb einer Tonleiter an (S.180-185). So wie sich diese Frequenz nicht linear von Tonschritt zu Tonschritt erhöht oder reduziert, so gibt es in der Natur überhaupt keine geradlinigen Prozesse, sondern nur abgelenkte. Die Irritation kann dabei soweit gehen, daß ein Impuls letztlich in der gegenteiligen Richtung fortwirkt, in der er begonnen hat.
So ist es auch mit dem Tun des Menschen. Alle unsere Tätigkeiten unterliegen an bestimmten Punkten unbemerkten Störungen (S.186). Wir beginnen etwas, stoßen auf Hindernisse, lassen uns davon ablenken und landen unversehens an einem Punkt, der mit der ursprünglichen Intention nichts mehr zu tun hat. Diese Kraftabweichung aber ist nichts anderes als der Ausdruck unserer Unfreiheit. Die menschliche Willenskraft ist meistens schlicht zu schwach, eine Intention gegen Hindernisse durchzusetzen. Wir handeln nicht bewußt, sondern „mechanisch“ – ja, im unerwachten Stadium ist der Mensch nichts anderes als eine „Maschine“ (S.24). Der unbewußte, schlafende Mensch ist ein chaotisches Bündel aus einer Vielzahl konkurrierender „Ichs“, von denen sich bald dieses durchsetzt und bald jenes (S.84f). Nur der erwachte Mensch ist frei. Nur er kann aus eigenem Entschluß handeln, nur er ist verantwortlich (S.26). Und nur er stellt eine in sich einheitliche Person dar.
Im Enneagramm verbindet Gurdjieff das „Gesetz der Sieben“ mit dem „Gesetz der Drei“.
Doch wie kann der Mensch erwachen? Die Antwort auf diese Frage wird symbolisch durch das nächste Element des Enneagramms, das Dreieck, gegeben.
Für Gurdjieff verbildlicht das Dreieck das „‚Gesetz der Drei‘ oder das Gesetz der drei Prinzipien oder der drei Kräfte. … Die erste Kraft kann man aktiv oder positiv nennen, die zweite passiv oder negativ; die dritte neutralisierend“ (S.111f).
Gurdjieff bezieht das Gesetz der Drei nun ausschließlich auf die spirituelle Entwicklung des Menschen. In dieser Hinsicht besagt das Gesetz der Drei, daß jede spirituelle Höherentwicklung auf eine dritte, vermittelnde Kraft angewiesen ist. Die „dritte Kraft“ eröffnet den Weg zur Freiheit. Sie ist, bildlich gesprochen, das Einfallstor des Göttlichen im Menschen. Ohne das Hinzutreten der dritten Kraft halten sich Impuls und Gegenimpuls die Waage, und es kommt leicht zum Stillstand, zum mechanischen, willenlosen Funktionieren (S.113).
Durch das Widerspiel miteinander konkurrierender Neigungen bzw. durch das Gegeneinander unterschiedlicher „Ichs“ blockiert sich der Mensch selbst. Diese Selbstblockade kann nur durch sogenannte „zusätzliche Schocks“ aufgebrochen werden. „Schock“ ist Gurdjieffs drastischer Ausdruck für eine Art Impuls, der dann entsteht, wenn die „Eindrücke“ der dritten Kraft aufgenommen werden. Die dritte Kraft ist auf verborgene Weise immer präsent, aber sie wird nur dann wirksam, wenn sie willentlich wahrgenommen wird. Der dadurch entstehende Schock unterbricht den normalerweise wirksamen blinden Automatismus und führt zur Überwindung der Selbstblockade (S.273f).
Wenn man sich im Augenblick des Eindrucks selbst beobachtet, wenn man also nicht nur den Eindruck selbst zur Kenntnis nimmt, sondern sich zugleich bewußt ist, daß man gerade einen solchen Eindruck hat, verstärkt sich dieser Eindruck noch. In dem Fall spricht Gurdjieff von einem „bewußten Schock“ im Unterschied zum bloß „mechanischen Schock“ niederer Ordnung (S.267–279).
Daß es zwei unterschiedliche Arten von Schockerfahrung gibt, ist für die Geometrie des Enneagramms nicht unerheblich, denn die beiden Schocks werden nun den zwei noch verbleibenden Eckpunkten des Dreiecks zugeordnet, also den Punkten 3 und 6. Daraus ergibt sich das vollständige Enneagramm-Symbol:
Punkt 9, der ganz oben auf der Kreislinie liegt, verbindet also das Oktavgesetz mit dem Gesetz der Drei. Damit bildet er zugleich das Scharnier zwischen dem Natürlichem und dem Göttlichen, zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Körper und Seele.
Bleibt noch der Kreis, das dritte Element des Enneagramms. Im Sufismus (und in manch anderer Religion) steht der Kreis traditionell für die Idee der Vollkommenheit. Seine Form repräsentiert vollendete Integrität. Gurdjieff beschreibt dies so: Der Kreis „enthält, von seiner Umgebung abgesondert, in sich alles für das eigene Dasein Notwendige“ (S.423).
Hinzu kommt ein Zweites: Der Kreis ist für Gurdjieff das Sinnbild „eines ewig wiederkehrenden und ununterbrochen fließenden Vorgangs“ (S.423). Er ist ein Symbol zyklischen, nicht-linearen Denkens. Er veranschaulicht die Prozeßhaftigkeit der Wirklichkeit, die Gurdjieff immer wieder gegen die dualistische, lineare Weltanschauung der modernen Wissenschaft behauptet. Zwar gibt es auch in Gurdjieffs Weltbild Fortschritt und Entwicklung; und wie ich gezeigt habe, soll das Enneagramm ja verdeutlichen, wie echte Entwicklung trotz der gesetzmäßigen „Kraftablenkung“ möglich ist. Doch dieser Fortschritt beschreibt den Weg einer Spirale. Es ist der Fortschritt von einer Stufe zu ihrer nächsthöheren Oktave, und von dieser wiederum zur nächsten, etc. Das Enneagramm ist daher „ein Diagramm der dauernden Bewegung“ (S.433).
Was hier letztlich zum Ausdruck kommt, ist ein prozessuales Erlösungsverständnis. Prozessual von einer Stufe zur nächsten erwacht der Mensch zum Göttlichen. Dabei bleibt er zwar auf die Hilfe der „dritten Kraft“ angewiesen. Doch die Impulse dieser Kraft sind nichts anderes als katalysierende Effekte, die dem Menschen helfen, seine eigenen Willensimpulse gegen das Gesetz der Kraftabweichung durchzusetzen. Die dritte Kraft zeigt sich in Form von „Schockerfahrungen“, aber sie ist letztlich eine kooperative Kraft, die an das Streben des Menschen anknüpft und es zur Vollendung führt. Das Göttliche ist bereits im Menschen angelegt. Es muß nicht erst in den Menschen hineingelegt, es muß vielmehr freigelegt werden. Das Enneagramm ist in diesem Sinne das Symbol einer schrittweisen Entwicklung zum „Großen Tun“, Gurdjieffs Metapher für die wahre Freiheit des Erwachten.
Es sei noch einmal betont, daß das Enneagramm für Gurdjieff also keine Typologie ist. Zur Typologie ist es erst später geworden. Allerdings ist diese Entwicklung bereits von Gurdjieff vorbereitet worden. Zwar kannte auch Gurdjieff eine Art Charakter-Typologie. Doch die ist eher poetisch als wörtlich zu verstehen. Es handelt sich dabei um eine Typologie des „Idiotentums“, welche 21 (also nicht 9!) Kategorien von Idioten unterscheidet, z.B. „gewöhnliche“, „hoffnungslose“ oder „mitfühlende“ Idioten, aber auch „runde“ oder „Zickzack-Idioten“. Mit den Persönlichkeitstypen des modernen Enneagramms hat die Theorie des Idiotentums jedenfalls gar nichts zu tun.
Wichtiger erscheint mir in diesem Zusammenhang Gurdjieffs Lehre vom „Hauptzug“ oder, was dasselbe ist, vom „Hauptfehler“ eines Menschen: „Jeder Mensch hat in seinem Charakter einen bestimmten Zug, der gewissermaßen sein Zentrum ausmacht. Er ist wie eine Achse, um die sich seine ganze ‚falsche Persönlichkeit‘ dreht. Die persönliche Arbeit jedes Menschen muß darin bestehen, gegen diesen Hauptfehler anzukämpfen“ (S.331).
Eindrücklich veranschaulichte Gurdjieff bisweilen in seinen Petersburger und Moskauer Kollegs, wie er sich derartige Hauptzüge vorstellt. So berichtet Ouspensky: „‚Zum Beispiel Soundso‘, er nannte einen unserer Gruppe. ‚Sein Hauptzug ist, daß er nie zu Hause ist.‘ … Einem anderen sagte er, sein Hauptzug sei eine Neigung, mit jedem über alles zu streiten. ‚Aber ich streite doch nie!‘ antwortete der Mensch sehr heftig. Niemand konnte umhin, zu lachen.“ Wieder einem anderen „sagte G., er habe kein Schamgefühl, und sofort machte dieser einen ganz komischen Witz über sich selbst“ (S.393f). Diese Charakterisierungen weisen bereits deutlich in die Richtung dessen, was von Vertretern des modernen Enneagramms als „Leidenschaft“ (Ichazo) oder „Wurzelsünde“ („jesuitische Tradition“) bezeichnet wird. Gurdjieff hat diese Beobachtungen jedoch nie systematisiert. Vielmehr scheint er sich dabei ganz auf seine besondere Intuition verlassen zu haben.
Was ist aus Gurdjieffs Enneagramm heute zu lernen?
Zunächst einmal kommen wir nicht umhin wahrzunehmen, daß das Enneagramm in der ältesten für uns greifbaren Version eine esoterische und teilweise sehr merkwürdige Heilslehre darstellt. Gurdjieffs These, wir seien unfrei, da wir uns oft selbst blockieren und im Wege stehen, leuchtet ja durchaus ein. Doch die Merkwürdigkeiten beginnen schon bei der Geometrie: Da fehlt dem Sechseck ein Punkt, um das Gesetz der Sieben zu verbildlichen, und kurzerhand wird dem Dreieck daraufhin ein Punkt „geklaut“. Doch auch die Bedeutung des Zeichens ist problematisch: Da ist die Rede von „mechanischen“ und „bewußten Schocks“, die zur Erlösung führen sollen. Ich will gar nicht leugnen, daß Schockerfahrungen eine heilsame Wirkung haben können. Doch Gurdjieff baut diese Einsicht zu einem komplexen esoterischen System aus, und wer die Geheimformel kennt, kann seine spirituelle Entwicklung steigern, indem er „mechanische Schocks“ durch besondere Aufmerksamkeitszuwendung in „bewußte Schocks“ umwandelt. Der Vorwurf der Selbsterlösung, den das Enneagramm immer wieder auf sich zieht ist hier, bezogen auf Gurdjieffs Fassung, jedenfalls angebracht. Schockerfahrungen, Selbsterkenntnis und dergleichen können uns bestenfalls die Einsicht bringen, daß und inwiefern wir der Gnade bedürfen ? doch sie vermitteln nicht selbst schon Gnade. So wichtig die persönliche Aneignung der Gnade ist ? sie kommt doch letztlich von außen zum Menschen und erwächst ihm nicht aus seinem Inneren.
Nun dürfte das Enneagramm Gurdjieffs für die meisten Leserinnen und Leser von EnneaForum keine große Rolle spielen. Trotzdem glaube ich, daß aus den vorangegangenen Überlegungen auch für das Verständnis des christlich „getauften“ Enneagramms etwas zu lernen ist. Wenn Gurdjieff seine Lehre in die Geometrie des Enneagramms geradezu hineingepreßt hat, so gilt das erst recht für das Enneagramm der Persönlichkeitstypen. Die neun Typen haben mit der Geometrie des Enneagramms ursprünglich nichts zu tun. Man sollte die Geometrie daher auch nicht allzu wichtig nehmen. Die zahlreichen und teilweise diametral entgegengesetzten Theorien über Flügel-, Trost- und Streßpunkte beispielsweise verdanken sich m.E. letztlich der Tatsache, daß die vorgegebene Enneagramm-Figur zu einer Charaktertypologie umgedeutet worden ist, die sie ursprünglich nicht war.
Ebenso hat übrigens die Warnung vor dem aussichtslosen Versuch der Selbsterlösung ihre Gültigkeit auch für den Umgang mit dem Enneagramm der Persönlichkeitstypen: Die Selbsterkenntnis, die mit Hilfe des Enneagramms möglich ist, führt nicht automatisch zur Erlösung. Erlösung geschieht erst in der Begegnung mit dem bedingungslos liebenden und vergebenden Gott.

Johannes Bartels ist Theologe, wohnt in Halle an der Saale und schreibt an einer Doktorarbeit über das Enneagramm im Kontext religiöser Erwachsenenbildung.

Anmerkungen
1 Das Geburtsdatum Gurdjieffs ist umstritten. Alternative Datierungen schlagen 1872, 1874 und, meistens, 1877 als Geburtsjahr vor. Zur Diskussion der verschiedenen Datierungen vgl. die solide recherchierte Biographie James Moore, Georg Iwanowitsch Gurdjieff: Magier, Mystiker, Menschenfänger. Eine Biographie, Bern 1992, S.351f.
2 Immerhin haben wir den Bericht von einem Besuch Gurdjieffs bei einem Großscheich des Naqshbandi-Ordens, bei dem sich Gurdjieff offenbar sehr für die Sufi-Tradition der „Neun Punkte“ interessiert hat, vgl. Shaykh Muhammad Hisham Kabbani, The Naqshbandi Suf Way. History and Guidebook of the Saints of the Golden Chain, Chicago 1995, S.360f. Die zeitlichen und örtlichen Bedingungen dieses Besuches lassen sich mit Gurdjieffs vagen Angaben in etwa vereinbaren. Eine äußerst knappe Skizze des Sufi-Enneagramms, wie Gurdjieff es angeblich von seinen Naqshbandi-Lehrern gelernt hat, findet sich in Enneagram Monthly October 1997 S.10.
3 P.D.Ouspensky, Auf der Suche nach dem Wunderbaren. Perspektiven der Welterfahrung und der Selbsterkenntnis, Bern/München/Wien 1966. Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf Ouspenskys Buch.
4 Aus dem Nachruf des amerikanischen Architekten und Gurdjieff-Schülers Frank Lloyd Wright, zitiert in Georg Iwanowitsch Gurdjieff, Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen, Basel 1992, S.16.
[aus: EnneaForum 17, Mai 2000, S. 17-21

Auf den Spuren des Enneagramms 2
Johannes Bartels
Teil II: Das Enneagramm Ichazos – Neun Wege zur Erleuchtung

Es war vor allem Oscar Ichazo, der das Enneagramm Gurdjieffs zu einer Charaktertypologie umgebaut hat. Die neun Typen sind weitgehend seine Erfindung, wobei er freilich auf die christliche Tradition der Todsünden zurückgreift. Allerdings hat nicht Ichazo selbst diese Typologie veröffentlicht, sondern die Schüler seiner Schüler. Das Enneagramm Ichazos ist daher weitgehend unbekannt geblieben, obwohl es zugleich die Grundlage so ziemlich der gesamten gegenwärtigen Enneagramm-Literatur darstellt. Johannes Bartels hat sich auf die Suche gemacht.

Wer ist Oscar Ichazo?
Oscar Ichazo wurde 1931 geboren und wuchs in Bolivien und Peru in römisch-katholischem Elternhaus auf.1 Er besuchte eine Jesuiten-Schule und befaßte sich schon in jungen Jahren mit Kirche und Theologie. Wie er selbst berichtet, wurde er im Alter von sechseinhalb Jahren im Halbschlaf von Epilepsie-ähnlichen Attacken geschüttelt, die sich alle zwei oder drei Tage wiederholten. Sie waren mit extremer Todesangst, übernatürlichen Visionen und dem Bewußtsein verbunden, sich außerhalb des Körpers zu befinden, ähnlich den Erfahrungen, die heute als Nah-Tod-Erfahrungen bekannt geworden sind. Fortan setzte er alles daran, diese Attacken loszuwerden und die Kontrolle über sich selbst zurückzugewinnen. Kaum älter als zehn, las er nach eigenen Berichten alles, was er in die Hände bekommen konnte, über Anatomie, Physiologie, Medizin und Philosophie, übte sich im Samurai-Kampf, in Yoga und in Zen-Meditation und machte Erfahrungen mit psychedelischen Drogen, Schamanismus und Hypnose.
Als Teenager beschäftigte er sich u.a. mit der Kabbalah und las die Schriften des Gurdjieff-Schülers P.D.Ouspensky. Mit 19 Jahren traf er auf einen esoterischen Zirkel in Buenos Aires, in dem die Systeme Gurdjieffs und Ouspenskys diskutiert wurden und Experimente mit bewußtseinsverändernden Techniken und Gurdjieffs „movements“ stattfanden. Die Mehrheit der Gruppe war orientalischer Herkunft und etliche Mitglieder waren Experten der Kabbalistik, des Sufismus oder des Zen-Buddhismus. Nach einiger Zeit wurde man auf Ichazo aufmerksam und kam überein, ihn auszubilden und zu Forschungszwecken in den Orient zu schicken.
1956 reiste Ichazo u.a. nach Pakistan, Afghanistan, Kaschmir und Pamir. Was auch immer die genauen Stationen seiner Pilgerreise waren, offenbar genoß er das Privileg, einen ungewöhnlich freien Zugang zu den von ihm aufgesuchten Kreisen gewährt zu bekommen. Angeblich ist er auf diesen Reisen auch auf die Quelle des Enneagramms gestoßen.
Bis Ende der 50er Jahre entwickelte Ichazo sein philosophisches System, und während einer Woche im „Göttlichen Koma“ (Originalton Ichazo) verspürte er die Berufung zur Lehre. Nach einem kurzen Intermezzo in Santiago, wo er 1969 am Institut für angewandte Psychologie lehrte, ging er in den abgelegenen chilenischen Ort Arica, um mit einer kleinen aber entschiedenen Schülerschar zu arbeiten. Anfangs hatte das dort gegründete Institut, das später unter dem Namen Arica-Institut bekannt wurde, lediglich zehn Mitglieder. Doch nachdem Ichazo am kalifornischen Esalen-Institut eine Neuinterpretation der Lehre Gurdjieffs angekündigt hatte, kamen 1977 54 US-Amerikaner für zehn Monate nach Arica, worauf Ichazos Schule auch in Nordamerika bekannt wurde. Ichazo verlegte daraufhin den Sitz seines Instituts nach New York und gründete Filialen in San Francisco und Los Angeles. Das Curriculum der „Schule“ beinhaltet außer Vorlesungen über mehrere Variationen des Enneagramms, das dort auch als „Enneagon“ bezeichnet wird, bewußtseinsverändernde Techniken und Übungen aus esoterischen und religiösen Traditionen des Ostens wie des Westens, zugeschnitten auf die Bedürfnisse moderner Amerikaner. Die Teilnahme an den Arica-Kursen führt angeblich zu nahezu garantierter Erleuchtung.2
Bis heute haben angeblich etwa 200000 Schülerinnen das überaus komplexe Arica-Ausbildungsprogramm absolviert. Sollte diese Zahl stimmen, so ist der Zulauf in den letzten Jahren jedoch deutlich zurückgegangen, und z.Zt. gibt es weltweit noch etwa 500 aktive Arica-Lehrer.
Heute führt Ichazo ein zurückgezogenes Leben als Schriftsteller auf der Insel Maui, Hawaii. Zu der nordamerikanischen Enneagramm-Bewegung steht er in Distanz, da er sich seit der Veröffentlichung der ersten Enneagramm-Einführungsbücher als Opfer geistigen Diebstahls und inhaltlichen Mißverständnisses sieht.

Was bedeutet Ichazos Enneagramm?
Der Kontext, in dem Ichazo sein Enneagramm entfaltet, ist die von ihm entwickelte „Protoanalyse“, die er als „Analyse der menschlichen Psyche in Übereinstimmung mit den ‚Archetypischen Menschlichen Prototypen‘“ definiert.3 Diese Protoanalyse ist ein Amalgam aus alchemistischer Psychologie, Metaphysik und Numerologie und bedient sich – wie das System Gurdjieffs – einer sehr eigentümlichen Sprache, die den Dialog mit Ichazo nicht gerade erleichtert.
Grundlegend für die Protoanalyse ist, ähnlich wie für Gurdjieff, eine Unterscheidung zwischen „Ego“ oder, was dasselbe bedeutet, „Persönlichkeit“ einerseits und der darunter verborgenen „Essenz“ andererseits. Ziel der Protoanalyse ist der Abbau der Egos zugunsten der darunter verborgenen Essenz. Dazu muß das Ego zunächst schonungslos analysiert werden – und genau diesem Zweck dient das Enneagramm.
Das Enneagramm nun hat Ichazo von Gurdjieff übernommen – allerdings nur das geometrische Zeichen selbst, nicht dessen Bedeutung als dreistufige Heilsgeschichte.4 Vielmehr dient ihm der neunzackige Stern Gurdjieffs als Matrix für sein System der psychischen „Prototypen“, als die das Enneagramm letztlich bekannt geworden ist.
Die Synthese des Enneagramms mit einer Klassifikation psychischer Grundmuster ist eine kühne Innovation, die bei Gurdjieff in keiner Weise angelegt ist. Allerdings ist diese Idee durch den heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Gurdjieff-Schüler Rodney Collin (1909–1956) vorbereitet worden. Collin hatte bereits 1952 eine archaische Charaktertypologie der astrologisch-alchemistischen Schulen des 13. bis 17. Jahrhunderts mit dem Enneagramm verbunden.5 Das System der Alchemisten basiert auf der Zuordnung verschiedener Charaktertypen zu den fünf mit bloßem Auge sichtbaren Planeten, also Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, denen außerdem der Mond und die Sonne hinzugefügt werden. Collin nimmt die Sonne aus und plaziert die verbleibenden sechs planetaren Charaktertypen auf die sechs Punkte 1, 2, 4, 5, 7 und 8 im Enneagramm. Seine Beschreibung der Typen und deren Plazierung ist zwar noch weit von dem Enneagramm Ichazos entfernt, doch die Grundidee ist bei beiden dieselbe. Obwohl Ichazo stets die alleinige Urheberschaft des modernen Enneagramms beansprucht und Collin nie erwähnt, halte ich eine Beeinflussung Ichazos durch Collin für sehr wahrscheinlich. Denn bei Collin, dessen Werk zunächst in Lateinamerika und auf Spanisch erschien, also für Ichazo durchaus zugänglich gewesen sein muß, findet sich nicht nur die Verbindung von Enneagramm und Charaktertypologie, sondern auch eine Reihe weiterer Bausteine, die heute zum Gemeingut der Enneagramm-Literatur gehören.
Erst bei Ichazo jedoch werden die Typen dann entscheidend durch je spezifische Sünden bzw. „Leidenschaften“ charakterisiert. Schon in der Antike sind die Planeten mit den Hauptsünden des Menschen verbunden worden. Die symbolische Darstellung des Charaktertyps mit Hilfe von Planeten trägt also traditionell bereits die Idee der Typologisierung von Hauptsünden in sich. Bei Ichazo ist es nun der christliche Katalog der Todsünden, der zum Ausgangspunkt seiner Typologie wird. Um die neun Punkte des Enneagramms komplett zu machen, muß Ichazo diesen Katalog freilich um zwei weitere Sünden ergänzen: Angst und Lüge.
Wie Ichazo nun genau zu seiner Anordnung der Sünden bzw. „Leidenschaften“ (passions) kommt, verrät er uns nicht. Wer sich dafür interessiert, den speist er mit der Behauptung ab, er habe das Enneagramm aus direkter Offenbarung durch „Metatron, den Prinz der Erzengel“, empfangen.6 Das Strukturprinzip der Plazierung der Hauptsünden im Enneagramm läßt sich also – wenn es denn ein solches geben sollte – nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls sieht das fertige „Enneagramm der Leidenschaften“ so aus:7
Was auf den ersten Blick wie eine belanglose geometrisch-typologische Spielerei aussieht, enthält doch einige Ideen von großer Tragweite. Grundlegend für die Verbindung von Charaktertyp und Hauptsünde ist zunächst die Idee, daß die Persönlichkeit eines Menschen wesentlich von einem Defizit bestimmt wird. Das geheime Thema jeder Biographie ist ein bestimmter Mangel an essentieller Qualität. Dieser Seins-Mangel manifestiert sich ferner in verschiedenen Ausprägungen, die in ihrer Zahl jedoch zugleich auf ein übersichtliches Maß beschränkt bleiben. Dadurch wird ein relativ konkreter Sündenbegriff ermöglicht, ohne daß sich dieser in kasuistischer Verästelung verliert. Und schließlich sind die einzelnen Leidenschaften dynamisch aufeinander bezogen, was durch die Linien des neuneckigen Sterns angedeutet wird.
Der früheste Text, der Ichazos Enneagramm der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, stammt aus der Feder seiner Schüler John Lilly und Joseph Hart.8 Dieser Text stellt kaum mehr dar als eine Skizze. Darin werden die neun Leidenschaften folgendermaßen beschrieben:
Zorn (Passion Nr. 1) ist der unterschwellige Ärger über die eigene Unvollkommenheit sowie über die Unvollkommenheit anderer. Stolz (2) besteht in der uneingestandenen Abhängigkeit von der Gunst anderer. Die Leidenschaft der Lüge (3 – sie ist eine der beiden von Ichazo ergänzten Hauptsünden) besteht in der Selbststilisierung nach dem Ideal von Einfluß und Effizienz und entspringt einem maßlosen Verlangen nach Bewunderung. Neid (4) ist die melancholische Eifersucht auf das scheinbare Glück anderer und wurzelt in der Sehnsucht nach der vollendeten Beziehung oder Situation. Geiz (5) ist der Rückzug in den Blickwinkel des wissenden Beobachters, der es versäumt, sich selbst in das Leben zu investieren. Auch die Angst (6 – die zweite zusätzliche Leidenschaft) oder Feigheit, wie man vielleicht lieber sagen sollte, ist, wenn sie zur Grundhaltung wird und wenn der blinde Gehorsam gegenüber beschützenden Autoritätspersonen jede Verletzlichkeit verhindert, nichts anderes als eine Verweigerung gegenüber dem Leben. Völlerei (7) ist die planvolle Organisation des Lebens mit dem Ziel, einmal erlebtes Vergnügen zu wiederholen und zu steigern – ob dieses Vergnügen nun sinnlicher, emotionaler oder geistiger Natur ist. Wollust (8) wird merkwürdigerweise als exzessive Gerechtigkeits- und Wahrheitsliebe verstanden; sie äußert sich in einer geradezu lustvoll-schamlosen Aggression, womit auf ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden reagiert wird. Trägheit (9) schließlich meint spirituelle Passivität oder mangelnde Antriebskraft hinsichtlich der Suche nach der eigenen „Essenz“. (vgl. s. 336f)
Sämtliche Hauptsünden äußern sich in eher subtiler Weise, so daß sie von außen oft gar nicht in ihrer Destruktivität wahrgenommen werden. Die Leidenschaften sind, wie bereits erwähnt, defizitärer Natur. Sie weisen auf einen Mangel an essentieller Qualität hin, für das sie kompensieren sollen. Entsprechend den neun (negativen) Leidenschaften läßt sich also auch die menschliche Essenz in ein Spektrum von neun (positiven) Qualitäten gliedern. Sie werden im Rahmen der Protoanalyse als „Tugenden“ bezeichnet und stellen die genauen Gegensätze zu den jeweiligen Passionen dar. Tugenden können dann ausgebildet oder vielmehr freigelegt werden, wenn jemand den defizitären Ursprung des eigenen Charakters erkennt und zur verborgenen Essenz durchstößt.
So kann Zorn der Heiterkeit weichen, wenn jemand versteht, daß seine Essenz – wie die aller anderen – vollkommen ist. Wer einsieht, daß auch andere in ihrem Innersten ebenso vollendet sind wie er selbst, dessen Stolz verwandelt sich in echte Demut. Und so weiter: Lüge wird zu Wahrhaftigkeit, Neid zu Gleichmut, Geiz weicht einer Haltung des Loslassens, Mut ersetzt Angst, nüchterne Besonnenheit ersetzt Völlerei, Wollust wird zu Unschuld und Trägheit wird zu Aktivität. (vgl. s. 338)

Tugend und Sünde wurzeln in gemeinsamem Grund.
Es ist entscheidend, daß die jeweilige Tugend nur dann ausgebildet werden kann, wenn die entsprechende Leidenschaft als solche wahrgenommen wird. Pointiert formuliert bedeutet dies, daß Tugend und Sünde in gemeinsamem Grund wurzeln.
Leidenschaften und Tugenden werden in protoanalytischer Terminologie als „emotionale“ Haltungen verstanden. Neben der emotionalen haben Persönlichkeit und Ego noch eine „mentale“ Dimension. Auf mentaler Ebene äußert sich die Gefangenschaft der Persönlichkeit in Form einer sog. „Ego-Fixierung“, einer Art fixen und daher verzerrten Idee darüber, wie das Leben zu organisieren sei, um das durch den Seinsmangel hervorgerufene Gefühl der Leere zu überwinden. Zu jeder fixen Idee gehört zugleich eine „Falle“, ein illusionäres Ideal, das mit der wahren Essenz verwechselt wird.
So besteht die Fixierung des zornigen Prototypen Nr. 1, welcher in der Illusion der Perfektion gefangen ist, in einem grollenden Ressentiment, womit er auf die eigene Unvollkommenheit und die anderer reagiert. Der stolze Typ 2 glaubt, durch Schmeichelei die Gunst seiner Audienz zu gewinnen; seine mentale Falle ist eine illusionäre Idee von Freiheit. Ein eitler Geist treibt den verlogenen Typ 3 dazu, Auszeichnungen, wichtige Positionen und Macht über andere anzustreben; er verwechselt wahres Sein mit Effizienz. Eine zwanghafte Melancholie ist dafür verantwortlich, daß der neidische Typ 4 nie mit dem Gegenwärtigen zufrieden ist, sondern stets einer glücklichen Zukunft nachjagt; er befindet sich in der Sackgasse eines trügerischen Ideals von Authentizität. Die Geisteshaltung des Geizes sorgt dafür, daß sich Typ 5 auf einen anonymen Beobachterposten zurückzieht, der ihm zugleich zur Falle wird. Typ 6 glaubt an eine idealisierte Sicherheit; um die zu erreichen, schließt er sich in seiner Feigheit einem starken Führer an, der ihn beschützen soll. Die fixe Idee des genußsüchtigen Typs 7 besteht darin, zu meinen, das Leben lasse sich durch Planung als andauernder Rauschzustand organisieren; die Sackgasse, in der er festsitzt, heißt Idealismus. Typ 8 wird in seinem rachsüchtigen Geist destruktiv, sobald er Unrecht wittert; verantwortlich dafür ist ein illusionärer Gerechtigkeitswahn. Und der grundlegende Irrtum des trägen Typs 9 besteht darin, Liebe stets außerhalb seiner selbst zu suchen und dabei die eigene Essenz zu vergessen; diese Suche ist die Falle, in der er steckt. (vgl. s. 333–335)
Wie auf der „emotionalen“ Ebene die Leidenschaften, so haben auf mentaler Ebene auch die Ego-Fixierungen ihr jeweiliges Gegenstück: die „Ideen“. Die Ideen sind gewissermaßen Ahnungen von heiligen Qualitäten des wahren, „essentiellen“ Lebens. Sie werden von Ichazos Schülern später abgekürzt als „heilige Ideen“ bezeichnet. Wer erkennt, daß ihn die Fixierung in eine Falle führt und dem ersehnten Glück eher im Wege steht als es zu fördern, der ist bereit, die ihm angemessene Idee zu akzeptieren. Jede dieser neun Ideen betrifft eine Facette der „ewigen Essenz“ und eröffnet einen spezifischen Zugang zur Erfahrung des wahren Selbst und damit zu innerem Frieden und Glück.
Die erlösende Idee des grollenden Typs 1 heißt heilige Vollkommenheit; sie besteht in der Einsicht, daß die eigene Essenz bereits vollkommen ist und befreit daher von der fanatischen Jagd nach Perfektion in der Außenwelt. Heilige Freiheit ist die Idee, die den schmeichelnden Geist, Typ 2, aus seiner Abhängigkeit von der Gunst anderer erlöst. Der eitle Geist des Typs 3 findet über die Idee der heiligen Hoffnung zur Erfahrung der eigenen Essenz; diese Hoffnung rettet ihn aus dem Wahn, alles hinge nur von seiner Effizienz ab. Heilige Originalität ist der Name der Einsicht des Typs 4 in den vollendeten Ursprung des eigenen Seins; sie bereitet der neidischen Suche nach Authentizität ein Ende. Der feige Typ 5 muß erst seinen Beobachterposten verlassen, um durch die Erfahrung der eigenen Essenz zu wahrer, Heiliger Weisheit zu gelangen. Typ 6 kann seine feige Suche nach Sicherheit aufgeben, wenn er versteht, daß er in der Tiefe seines Seins unverwundbar ist; eine solche Erkenntnis aber ist nichts anderes als Heiliger Glaube. Das rastlose Planen von Typ 7 wird dann zu Heiliger Arbeit, wenn ihn der Kontakt zur eigenen Essenz aus seinen Zukunftsträumen in die Gegenwart zurückholt. Ebenso wird Typ 8 aus seiner Rachsucht befreit, wenn er versteht, daß seine Essenz – wie die jedes anderen – letztlich in Heiliger Wahrheit und Gerechtigkeit gründet. Die erlösende Idee des selbstvergessenen Typ 9 schließlich heißt Heilige Liebe und besteht in der Realisierung, daß die eigene Essenz im Grunde nichts anderes ist als reine Liebe. (vgl. s. 335f)
Für Enneagramm-Kenner ist längst deutlich geworden: Ichazos „Leidenschaften“ und „Tugenden“, seine „fixierten“ und „heiligen“ Ideen, etc. mögen in der Literatur heute z.T. andere Namen haben, doch der Sache nach finden sie sich in jedem ausführlichen Enneagramm-Buch mehr oder weniger unverändert wieder. Das gilt für die „emotionale“ wie für die „mentale“ Ebene. Und das gilt schließlich auch für die Ebene der „Instinkte“, die heute oft als „Subtypen“ oder „Untertypen“ bezeichnet werden. Daher kann ich mir an dieser Stelle eine ausführliche Darstellung ersparen. Die Interessierte lese einfach nach, z.B. bei Helen Palmer oder Rohr/Ebert.
Ichazos Enneagramm wäre damit in groben Zügen nachgezeichnet. Für Ichazo steht das Enneagramm im Mittelpunkt einer umfassenden Heilslehre. Immer wieder stellt er eine vollkommene Erlösung in Aussicht. Wer mit Hilfe des Enneagramms, gesunder Ernährung und fleißigen Meditierens den Abbau des eigenen Egos betreibt, der wird schließlich seiner wahren Essenz begegnen, der ist nicht mehr fern von vollendetem Glück und Frieden, nicht mehr fern von „Satori 24“, wie der höchste Zustand der Erlösung in dem alchemistisch-numerologischen Jargon der Arica-Schule ursprünglich genannt wurde.
In den frühen 70er Jahren ging der Heilsoptimismus Ichazos einher mit düsteren Szenarios einer bevorstehenden Endzeit-Krise. Die Welt könne aber, so lehrte er, gerettet werden, wenn in den wenigen verbleibenden Jahren bis zur Katastrophe genügend Teilnehmer des Arica-Trainings die Erleuchtung erreichen und als Multiplikatoren wirken würden. Das erwartete Heil ist jedoch an Bedingungen geknüpft – an Bedingungen, die nur Ichazo selbst kennt. Wer diese Bedingung nicht erfüllt, wird von der Arica-Schule ausgeschlossen. Ihn erwartet der ewige Tod (vgl. s. 345f).

Was ist aus Ichazos Enneagramm heute zu lernen?
Gerade die eben beschriebene Heilslehre, die bei Ichazo den Kontext des Enneagramms darstellt, ist aus christlicher Sicht freilich sehr problematisch. Ichazos Arica-Schule hatte in den siebziger Jahren eindeutig sektiererische und totalitäre Züge. Man führe sich nur einmal die Erinnerungen des ehemaligen Anhängers Adam Smith zu Gemüte.9 Nicht weniger problematisch ist der gnostische Charakter der Lehre. Ichazo selbst bezeichnet sein System als „Methode der Ultimativen Gnostischen Erleuchtung“.10 Für ihn hält das Enneagramm neun Wege zur letzten Erleuchtung bereit. Die genaue Kenntnis der neun Typen, die natürlich nur durch Ichazo und seine Schüler vermittelt werden kann, soll zur Erlösung führen. Nun ist die Gnosis bereits im frühen Christentum als unsachgemäß verworfen worden. Bloße Erkenntnis führt eben nicht zur Erlösung. Wer das glaubt, hat noch nicht verstanden, wie tief der Mensch im Dreck steckt.

Die menschliche Essenz zu finden stellt die große spirituelle Aufgabe des Lebens dar.
Sieht man einmal von dem problematischen Kontext ab, so ist es wohl diese Neuinterpretation der Lehre von den Todsünden, die Ichazos positives Verdienst ausmacht. In seiner Interpretation verlieren die Todsünden ihre Fremdheit. Sie werden zu Haltungen, die man durchaus auch im eigenen Leben wiederfinden kann. Dasselbe gilt für den ja nicht weniger verstaubten Begriff der Tugend. Beides, Sünde und Tugend – und darin liegt vielleicht die tiefste Einsicht Ichazos – sind aufeinander bezogen, und zwar ganz konkret: Jede Leidenschaft ist nichts anderes als die Abwesenheit einer Tugend, d.h. einer besonderen Qualität menschlicher Essenz. Diese besondere Qualität menschlicher Essenz zu finden und zu entwickeln, stellt die große spirituelle Aufgabe des Lebens dar. Und die Erfüllung dieser Aufgabe – so ist aus christlicher Sicht freilich hinzuzufügen – ist immer ein Geschenk Gottes.

Johannes Bartels ist Theologe, wohnt in Leipzig und schreibt an einer Doktorarbeit über das Enneagramm im Kontext religiöser Erwachsenenbildung.

Anmerkungen
1 Biographische Hinweise finden sich unter anderem in folgenden Texten: Samuel Keen, A Conversation About Ego Destruction with Oscar Ichazo, in: Psychology Today, Juli 1973; John Lilly/Joseph E.Hart, The Arica Training, in: Charles T. Tart (Hg.), Transpersonal Psychologies, New York 1975 und London 1975; Adam Smith, Powers of Mind, London 1976, S.255–268; und Enneagram Monthly November 1996 S. 21–23.
2 Vgl. Keen (s.o. Anm. 1) S. 67.
3 Vgl. Enneagram Monthly November 1996 S. 21.
4 Zur Bedeutung des Enneagramms Gurdjieffs vgl. EnneaForum 17/2000 S. 17ff.
5 Vgl. The Theory of Celestial Influence. Man, the Universe and Cosmic Mystery, Boulder, Colo./London 1984 S.143–151.
6 Vgl. Lilly/Hart (s.o. Anm.1) S. 341.
7 Ebenda S.338.
8 Lilly und Hart gehörten 1970 zu den US-amerikanischen Teilnehmern des Arica-Trainings und verfaßten einen Bericht darüber für die 1975 von C.Tart herausgegebene Aufsatzsammlung „Transpersonal Psychologies“. Merkwürdigerweise fehlt dieser Beitrag in der deutschen Übersetzung. Die Seitenangaben in diesem Aufsatz beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf diesen von Tart edierten Band (s.o. Anm.1).
9 S.o. Anm.1. Dieser kurze Text ist für uns auch deshalb besonders aufschlußreich, da er anschaulich und mit der kritischen Distanz des Rückblicks beschreibt, wie Ichazo während des Arica-Trainings von 1970 mit dem Enneagramm gearbeitet hat.
10 Enneagram Monthly Januar 1997, S. 22.
[aus: EnneaForum 18, November 2000, S. 19-23
Aus EnneaForum 18 (), S. © Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm e.V., Celle. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Auf den Spuren des Enneagramms 3
Johannes Bartels
Teil III: Die „jesuitische“ Spur:
Das „getaufte“ Enneagramm

Es waren Jesuiten, die das Enneagramm zuerst im kirchlichen Kontext verwendet haben. Von Chicago aus importierten sie das Enneagramm auf ihren Missionsreisen in die entlegensten Winkel des Erdballs. Mitte der achtziger Jahre veröffentlichte der Jesuit Patrick O’Leary zusammen mit zwei Angehörigen anderer christlicher Orden das erste Einführungsbuch über das Enneagramm und gab damit den Startschuss für seine beispiellose Verbreitung auf dem Buchmarkt. Johannes Bartels ist der jesuitischen Spur nachgegangen.
Dass es ausgerechnet Jesuiten waren, die das Enneagramm für den kirchlichen Bereich entdeckt und fruchtbar gemacht haben, passt gut. Denn seit der Spanier Ignatius von Loyola den heute größten katholischen Orden im 16. Jahrhundert gegründet hat, wird in der Societas Jesu (so der richtige Name des Ordens) eine Spiritualität gepflegt, die sich in wichtigen Punkten mit der Spiritualität des Enneagramms berührt. Das von Ignatius verfasste und bis heute immer wieder neu aufgelegte Anleitungsbuch „Exercitia spiritualia“ gibt davon Zeugnis. Hier wird zielbewusst psychologisches Wissen angewendet, um die Seele zu demütigen und zu läutern. Bevor Gott in seiner Liebe erkannt werden kann, muss sich der Übende zunächst selbst erkennen, und zwar mit all seinen inneren Abgründen. Nur wenn die eigene Sündigkeit erkannt ist, kann auch Selbstüberwindung gelingen.
Doch die Jesuiten haben nicht nur in der Spiritualität eine eiserne, geradezu militärische Disziplin bewiesen, sie standen immer auch in dem Ruf besonderer intellektueller Kompetenz. Einer der großen jesuitischen Denker der Barockzeit war der aus Deutschland stammende Athanasius Kircher, der sich etwa mit bahnbrechenden Erkenntnissen zur Musiktheorie hervorgetan hat. In seiner 1665 verfassten, ziemlich esoterisch anmutenden Schrift „Arithmologia“ findet sich nun ein Zeichen, das dem heutigen Enneagramm sehr ähnlich sieht (und welches wohl auf ein ähnliches Symbol aus dem 13. Jahrhundert zurückgeht). Allerdings ist Kirchers Zeichen nicht mit dem Enneagramm identisch. Statt eines Dreiecks und eines Sechsecks weist die Figur des Jesuiten drei regelmäßige Dreiecke auf. Davon abgesehen ist auch die Bedeutung eine ganz andere – wenn auch manche Parallelen insbesondere zu Gurdjieffs Lehre durchaus vorhanden sind1. Jedenfalls haben wir es hier bestenfalls mit einer Vorstufe des heutigen Enneagramms zu tun. Die eigentliche Geschichte des christlich „getauften“ Enneagramms beginnt jedoch erst 1971. In diesem Jahr nämlich bot der chilenische Psychiater Claudio Naranjo, ein Schüler von Oscar Ichazo, in San Francisco die ersten Enneagramm-Kurse auf nordamerikanischem Boden an. Einer der Teilnehmer war der Jesuit Robert Ochs. Er übersetzte Naranjos Lehre in die Sprache jesuitischer Theologie und übernahm das Enneagramm im selben Jahr in sein Lehrangebot an der Loyola-Universität in Chicago. „Manchmal rief er erst am Abend vor seinem Seminar bei Claudio Naranjo an, um noch schnell irgendwas zu klären.“2 Seine Seminare hatten multiplizierende Wirkung unter den dortigen Theologiestudenten und darüber hinaus. Einer der Teilnehmer, Paul Robb SJ, machte das Enneagramm bald zum zentralen Lehrinhalt seines Instituts für spirituelle Leitung. In den folgenden Jahren trugen seine Schüler, unter denen sich etliche Missionare befanden, das Enneagramm in viele Teile der Welt.
Von nun an hatte die Enneagramm-Bewegung neben dem Arica-Institut in New York und den Aktivitäten von Naranjo und Helen Palmer, die beide in Berkeley wirkten, ein völlig unabhängiges drittes Zentrum in Chicago.
Die Wirksamkeit dieses Zentrums entfaltete sich jedoch in den ersten zehn Jahren fast ausschließlich in der Abgeschiedenheit von Seminarräumen, Einkehr- und Gemeindehäusern und blieb von den anderen Traditionssträngen weitgehend unbemerkt. Es wurden sogar einige Doktorarbeiten über das Enneagramm geschrieben, doch außerhalb der Loyola-Universität nahm davon kaum jemand Notiz.
Das änderte sich schlagartig, als Patrick O’Leary SJ, der das Enneagramm seit 1972 im Rahmen verschiedener Seminare für spirituelle Begleitung vermittelt hatte, 1984 zusammen mit Maria Beesing OP und Robert Nogosek CSC ein erstes Einführungsbuch zum Enneagramm der Persönlichkeitstypen veröffentlichte3. Bis dahin war das Enneagramm nur mündlich – und oft mit Schweigepflicht verbunden – tradiert worden. Zwar war es hier und da in Publikationen zu anderen Themen erwähnt worden, doch meistens am Rande und in esoterischer Sprache. Nun gab es auf einmal ein verständlich geschriebenes Einführungsbuch, und dieses Buch traf auf einen durch die mündliche Tradition längst vorbereiteten Markt. Damit war das Schweigen gebrochen.
Das hatte enorme Konsequenzen. Die nun beginnende starke öffentliche Nachfrage nach Enneagramm-Literatur führte zu einer Vielzahl weiterer Einführungsbücher. Seit Ende der 80er Jahre wuchs die Liste der Veröffentlichungen jährlich, und die 90er Jahre sahen in dieser Hinsicht einen regelrechten Boom.
Die Schrift von Beesing/Nogosek/O’Leary ist also nicht nur eines der ältesten Zeugnisse der Enneagramm-Adaption durch „die Jesuiten“4, sie markiert zugleich den Beginn der popularisierten Enneagramm-Rezeption überhaupt. Grund genug also, dieses Buch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Der Beitrag von Beesing/Nogosek/O’Leary zur Entwicklung des Enneagramms ist ein doppelter: Zum Einen werden mit dieser Schrift eine ganze Reihe Bausteine der Enneagramm-Theorie erstmalig veröffentlicht, die inzwischen längst zum Gemeingut avanciert sind – auch wenn nicht in jedem Fall klar ist, welche dieser Elemente wirklich auf die Autorengemeinschaft zurückgehen und welche schon vorher im Umlauf gewesen sind. Zum Anderen haben die genannten Autoren sich Gedanken darüber gemacht, wie sich eine Aneignung des ursprünglich ja wenig christlichen Enneagramms theologisch legitimieren lässt. Mit dieser Aneignung haben sie die Weichen für eine verstärkte Verbreitung in kirchlichen Kreisen gestellt.
Doch zunächst zu den von Beesing/Nogosek/O’Leary festgehaltenen Innovationen der Enneagramm-Theorie. Da ist erstens die Triaden-Theorie zu nennen, die hier erstmalig publiziert wird, auch wenn sie bereits durch die Klassifizierung der drei Zentren (Gurdjieff) bzw. der drei Grundinstinkte (Ichazo5) vorbereitet war. Die drei Reaktionszentren heißen bei Beesing/Nogosek/O’Leary „Leibmitte“ (Instinktzentrum), „Herz“ (Gefühlszentrum) und „Kopf“ (Denkzentrum). Ihnen werden nun jeweils drei Typen zugeordnet, die das entsprechende Zentrum gegenüber den anderen beiden bevorzugen.
Zur Triade des Instinktzentrums gehören die Typen 8, 9 und 1. Sie haben einen privilegierten Zugang zu ihren von der Leibmitte aus gesteuerten Instinkten, während Gefühls- und Denkzentrum bei ihnen unterentwickelt sind. Sie interessieren sich weniger für emotionale Befindlichkeiten oder für die kognitive Erfassung einer Situation als für die Rolle, die ihnen selbst darin zukommt. Ihre – bewusste oder unbewusste – Einstellung lautet: „Hier bin ich. Nimm mich, wie ich bin!“ (S. 158) Der emotionalen Triade gehören die Typen 2, 3 und 4 an. Ihre Domäne ist die durch das Herz symbolisierte Welt der Gefühle, während die anderen beiden Reaktionszentren unterentwickelt bleiben. Ihr primäres Interesse richtet sich weniger auf die eigene Person als auf die des Gegenübers. Ihre erste Frage in Beziehungen lautet: „Ist mir dieser Mensch freundlich oder feindlich gesinnt? Magst du mich oder nicht?“ (S. 160) Die verbleibenden Typen 5, 6 und 7 schließlich sind in der Triade des Denkzentrums zusammengeschlossen. Sie reagieren bevorzugt aus dem Kopf heraus und vernachlässigen Gefühle und Instinkte. Sie sind primär daran interessiert, die Situation, in der sie sich gerade befinden, kognitiv zu erfassen.
Ihre charakteristische Frage lautet: „Wie hängt das alles zusammen?“ (S. 162)
Auf der Triaden-Theorie basiert nun auch, zweitens, die Theorie der Zentral- und Seitenpunkte. Jede Triade beinhaltet nämlich eine wiederum dreiteilige Binnenstruktur. Die zentralen Punkte 3, 6 und 9 werden als „Verleugnungspunkte“ bezeichnet, da die entsprechenden Typen das von ihnen eigentlich bevorzugte Reaktionszentrum gewissermaßen praktisch „verleugnen“, d.h. sie haben dazu den geringsten Zugang – einen noch geringeren Zugang als Angehörige anderer Triaden! Dies erscheint zunächst widersprüchlich, denn die Typen einer Triade gehören ja gerade deshalb zusammen, weil sie einen besonderen Zugang zu dem jeweiligen Reaktionszentrum haben; doch der Zugang zum bevorzugten Reaktionszentrum ist nie direkt, auch bei den Seitentypen nicht. Vielmehr unterliegt er stets einer bestimmten Verzerrung. Diese Verzerrung besteht bei den Verleugnungspunkten darin, dass die entsprechenden Typen zwar generell dazu tendieren, aus dem jeweils bevorzugten Zentrum zu reagieren, doch gerade dann, wenn eine Reaktion aus diesem Zentrum angemessen wäre, scheint ihnen der Zugang dazu verschlossen.
Typ 3 z.B. reagiert in solchen Situationen emotional, in denen ein instinktives oder reflektiertes Verhalten eigentlich angemessener wäre. Er ist stets darauf aus, andere zu beeindrucken und bedient sich dafür eines feinen emotionalen Sensoriums. Er versucht emotional zu erfassen, was anderen gefallen könnte. Doch gerade dadurch bleibt der Zugang zu den eigenen Gefühlen verstellt. Letztlich opfert er seine Gefühle dem Streben nach Prestige. (vgl. S. 161)
Die Seitenpunkte links und rechts der Verleugnungspunkte werden bildlich als „Flügelpunkte“ bezeichnet. Auch an diesen Punkten kommt es zu einer verzerrten Reaktionsweise. Da die Übergänge zwischen den Triaden als fließend gedacht werden, werden die grenznahen Flügeltypen von dem jeweils benachbarten Reaktionszentrum mit beeinflusst. Zugleich ist das gegenüberliegende Zentrum bei ihnen besonders unterentwickelt.
Das Reaktionsverhalten von Typ 8 beispielsweise wird vor allem vom Instinktzentrum geprägt, daneben aber auch von dem angrenzenden Denkzentrum. Besonders unterentwickelt ist bei ihm das gegenüberliegende Gefühlszentrum, was dazu führen kann, dass dieser Typ es kaum spürt, wenn jemand unter seinem Machtwillen leidet.
Das dritte Element, das durch die Publikation von 1984 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist die Pfeiltheorie. Sie betrifft die Verbindungslinien der neun Punkte der Enneagramm-Figur. Wie ist es zu erklären, dass drei dieser Punkte durch ein Dreieck, die anderen sechs dagegen durch ein Sechseck verbunden sind? Und welche Bedeutung hat die merkwürdig unregelmäßige Linienführung des Hexagramms für die dadurch verbundenen Charaktertypen? Diese Fragen fanden (spätestens) bei den Autoren um O’Leary zu einer Deutung, die eine starke Wirkung entfalten sollte.
Auch diese Theorie war indessen vorbereitet. Schon 1952 hatte Rodney Collin die Linien des Hexagramms mit Pfeilspitzen versehen, und zwar gemäß der von Gurdjieff aufgezeigten Reihenfolge der Kommazahlen, die sich ergibt, wenn eine Grundzahl (außer sieben) durch sieben geteilt wird. Danach zeigt Punkt 1 auf Punkt 4, 4 auf 2, 2 auf 8, etc.6 Versieht man nun auch die verbleibenden Punkte 3, 6 und 9 gegen den Uhrzeigersinn mit Pfeilspitzen, so ergibt sich folgende Figur (vgl. S. 145):
Die durch diese Pfeile angedeutete Dynamik wird nun von Beesing/Nogosek/O’Leary, wohl im Anschluss an Claudio Naranjo7, folgendermaßen interpretiert: Die Fixierung jedes Typs wird durch Stresssituationen in der Regel noch verstärkt. Dies äußert sich dadurch, dass man die negativen Eigenschaften des Typs übernimmt, mit dem man in Pfeilrichtung verbunden ist. So weist Typ 1 in Stresssituationen Züge jener melancholischen Resignation auf, die eigentlich eher für Typ 4 charakteristisch ist. Die bei Typ 1 normalerweise zu beobachtende Tendenz, Aufgaben mit diszipliniertem Einsatz in Angriff zu nehmen, versagt. Stresssituationen wirken auf diesen Typ lähmend. (vgl. S.147) In Situationen der Entspannung dagegen wird die Fixierung gelockert, was sich in einer Bewegung gegen den Pfeil äußert. Typ 1 kann in solchen Situationen seinen zwanghaften Ernst loslassen und gegen heitere Gelassenheit tauschen, welche eigentlich die Stärke von Typ 7 ausmacht. (vgl. S. 173)
Die Pfeiltheorie, die Beesing/Nogosek/O’Leary vorgestellt haben, ist – übrigens ebenso wie die Theorien über Triaden und Zentral- bzw. Seitenpunkte – nicht ohne Alternativen geblieben. Jerome Wagner zählt – schon ohne das Modell von Rodney Collin – nicht weniger als sechs verschiedene Interpretationen, die teilweise diametral entgegengesetzt sind8.
Die Schrift von Beesing/Nogosek/O’Leary enthält noch weitere Innovationen, von denen sich einige ebenfalls durchgesetzt haben. Sie vollständig aufzuzählen, würde zu weit führen. Wichtiger ist hier die theologische Aneignung, von der das Werk zugleich Zeugnis gibt.
Es liegt nahe, dass es vor allem die Sündenlehre ist, die zum Anknüpfungspunkt der christlichen Aneignung des Enneagramms geworden ist. Denn das moderne Enneagramm besteht im Kern in einer typologischen Zuordnung der – mit zwei Zusätzen versehenen – Todsünden zueinander, woraus sich die neun Charaktertypen ergeben. Das Thema Sünde ist dem Enneagramm also von Anfang an eingeschrieben. Doch der Sündenbegriff zerfällt in neun einzelne sündige Haltungen oder „Leidenschaften“. Die Aufgabe, vor die sich die Jesuiten gestellt sahen, bestand darin, einen einheitlichen Begriff von Sünde zurückzugewinnen, der den diversen Leidenschaften zugrunde liegt. Das sündige Ego, so die These der Theologen, resultiert letztlich aus einer Verwechslung eines Teilbereichs des Lebens mit dem Ganzen des Lebens: „Jede Persönlichkeit hat nämlich einen positiven Aspekt des Menschseins in eine Fixierung verwandelt, indem dieser positive Aspekt ins Extrem getrieben wurde. Was eigentlich einen Teilaspekt des Menschseins darstellt, hat sich so zum einzigen, alles beherrschenden, letztgültigen Wert entwickelt. So etwas geschieht immer auf Kosten der ganzheitlichen Integration des Menschen. Die Fixierung ist also insofern eine Sünde gegen die ganzheitliche Integration der menschlichen Persönlichkeit. Ein Teilaspekt, der zur Ganzheit des Menschen beitragen soll, wird für die Essenz des gesamten Daseins gehalten.“ (S. 60)
Die Teilaspekte des Lebens, mit denen der sündige Mensch das ganzheitliche „Wesen des Menschseins“ verwechselt, werden von den Jesuiten – in Anlehnung an Ichazos „Fallen“ – folgendermaßen benannt: Typ 1 hält den Teilbereich der Vervollkommnung für das Ganze, für Typ 2 ist es die dienende Gefälligkeit, für Typ 3 die Tüchtigkeit, Typ 4 verabsolutiert die Qualität der Authentizität, Typ 5 das Wissen, Typ 6 die Sicherheit, Typ 7 erliegt der Illusion, sein Idealismus sei bereits die Fülle des Lebens; Typ 8 ist auf den partiellen Wert der Gerechtigkeit fixiert, und Typ 9 verabsolutiert ein scheinbar demütiges und friedenstiftendes Sich-Herabsetzen. (vgl. S. 193) Sünde ist also für die Theologen nichts anderes als eine Verabsolutierung eines partiellen Wertes, eine verengende Verkehrung des Guten.
Doch wie für Ichazo, so besteht auch für die Jesuiten die Sünde nicht nur darin, in die Falle falscher Gedanken zu tappen. Auch auf affektiver Ebene äußert sich die Sünde, und zwar als „Wurzelsünde“, wobei Wurzelsünde nichts anderes ist als der theologische Begriff für Ichazos „Leidenschaft“. Gemeint sind also Zorn, Stolz, Lüge, etc. All diese Passionen heißen „Wurzelsünde“, da sie jeweils den Ursprung für die Mannigfaltigkeit der einzelnen sündigen Taten und Gefühle darstellen. Auf instinktiver Ebene schließlich nimmt die Sünde die Form eines „lebenshemmenden, blockierenden Misstrostes“ (S. 214) an. Auch Misstrost hat typspezifische Ausprägungen: Dieser Misstrost äußert sich in Niedergedrückheit (Typ 1), Abscheu (2), Rastlosigkeit (3), Ekel (4), Rebellion (5), Verzweiflung (6), Ich-Verfangenheit (7), Verwirrung bzw. Aufruhr (8) und innerer Dunkelheit (9). (S.219)
Dem dreifachen Sündenbegriff entspricht ein dreifacher Begriff von Umkehr. Umkehr ist zunächst ein kognitives Umdenken (metanoia), ein Paradigmenwechsel von der mentalen „Falle“ zur „Einladung“. Der Begriff der „Einladung“ deutet an, dass nicht der Mensch, sondern Gott der entscheidende Initiator wirklichen Umdenkens ist. Der Mensch wird eingeladen. Darin liegt ein entscheidender Unterschied zur Ichazo-Tradition, wo in diesem Zusammenhang von „heiligen Ideen“ gesprochen wird; das erlösende neue Denken wird dort auf die eigene Leistung des Menschen zurückgeführt. Für die Jesuiten jedoch ist es gerade nicht die Idee einer heiligen Vollkommenheit, die etwa Typ 1 aus seiner Falle des Perfektionismus befreit, sondern die Einladung, auf das Wachstum zu vertrauen, kraft dessen sich auch das Unvollkommene entwickelt. Typ 2 wird eingeladen, seine an die heimliche Bedingung der Gegenliebe geknüpfte Gefälligkeit gegen die Idee der bedingungslosen Gnade zu vertauschen. Und so weiter: die übrigen Einladungen heißen Hoffnung (3), Vereinigung mit Gott (4), Gottes Fügung (5), Vertrauen/Glaube (6), Mitwirken mit Gott (7), Mitgefühl (8) und bedingungslose Liebe (9). (vgl. S. 193)
Ähnlich haben auf affektiver Ebene auch die Wurzelsünden ihre höheren Gegensätze. Ichazo hatte von „Tugenden“ gesprochen. Doch Beesing/Nogosek/O’Leary legen wiederum Wert darauf festzuhalten, dass echte Bekehrung nicht des Menschen, sondern Gottes Werk ist. Darin liegt die Pointe ihrer Umbenennung der Tugenden in „Geistesfrüchte“. Während die Wurzelsünde aus dem von Anfang an aussichtslosen Unternehmen resultiert, sich selbst zu erlösen, zeigt sich wahre Erlösung darin, dass das eigene Lebensmotto durch Gottes Güte geradezu in sein Gegenteil verwandelt wird. Die Geistesfrüchte sind: Gelassenheit/Heiterkeit (1), Demut (2), Wahrhaftigkeit (3), Ausgeglichenheit (4), Unbeschwertheit (5), Mut (6), Nüchternheit (7), Schlichtheit (8) und Engagement (9). (vgl. S. 207)
Auf instinktiver Ebene schließlich manifestiert sich Umkehr in der Erfahrung tiefen „Trostes“. Beesing/Nogosek/O’Leary unterscheiden drei unterschiedliche Erfahrungen von Trost und ordnen diese den drei Triaden des Enneagramms zu. Bei den Typen der Leibmitte-Triade zeigt sich dieser Trost als eine Art heilige Begeisterung; sie „erfahren alles im Kontext Gottes“. Getröstete Angehörige der Herz-Triade sind von einer tiefen Dankbarkeit für die bedingungslose Treue Gottes erfüllt. Und die Typen der Kopf-Triade erleben geistlichen Trost als innere Stärke und Frieden. (vgl. S. 218)
Das Enneagramm von Beesing/Nogosek/O’Leary ist also nichts anderes als eine theologische Interpretation des Enneagramms Ichazos: Die heilige „Idee“ wird zur göttlichen „Einladung“, aus der „Tugend“ wird die „Geistesfrucht“, und die typspezifische Manifestation der Erlösung auf instinktiver Ebene wird als geistlicher „Trost“ verstanden.
Doch mit diesen Umdeutungen ist das theologische Programm von Beesing/Nogosek/O’Leary noch nicht vollständig erfasst. Denn Gott ist ein Subjekt der Hilfe, die der Mensch braucht, um von seiner zwanghaften Fixierung frei zu werden: „Diese Hilfe kann auf dreifache Weise geschehen: durch die Arbeit an sich selbst, durch andere Menschen und nicht zuletzt durch Gott … Alle drei Formen der Hilfe können als Komponenten unserer Erlösung gesehen werden.“ (S. 167)
Es ist die Komponente der „Arbeit an sich selbst“, die das „jesuitische“ Konzept kompliziert werden lässt. Denn an dieser Stelle wird nun die oben beschriebene Pfeiltheorie eingebaut. Die Pfeiltheorie beschreibt eigentlich, wie gezeigt, typisches Verhalten in Stress- bzw. Entspannungs-Situationen. Ist ein Mensch entspannt, so verändert sich sein Verhalten und ähnelt dem desjenigen Typs, mit dem er gegen den Pfeil verbunden ist. Der Pfeil ist also ein ‚Indikator‘ eines entspannten und daher innerlich gelösten, befreiten Zustandes.
Im Kontext der „jesuitischen“ Theologie kommt es jedoch zu einer Bedeutungsverschiebung. Hatte die Pfeiltheorie bisher eine rein indikatorische Funktion, so wird daraus nunmehr ein Imperativ abgeleitet: Bemühe dich um Befreiung! Ergreife die Initiative und eigne dir die positiven Eigenschaften des entsprechenden Typs an! Bei Beesing/Nogosek/O’Leary klingt das so: „Die Mühe, die man selbst aufbringen muss, besteht darin, den Weg ‚gegen die Pfeilrichtung‘ im Enneagramm einzuschlagen. Dieses ‚Gegen-den-Strom-Schwimmen‘ ist symbolischer Ausdruck einer Erfahrung persönlicher Anstrengung. Es ist ein ‚agere contra‘, ein ‚Handeln dagegen‘. Man geht dabei gegen die durch zwanghafte Fixierung verfestigte innere Neigung an.“ (S. 168f) Danach muss Typ 1 durch innere Arbeit jene fröhliche Unbeschwertheit erlangen, die eigentlich für Typ 7 charakteristisch ist. Typ 7 wiederum kann aus seiner Rastlosigkeit ausbrechen, indem er sich etwas von der ruhigen Innerlichkeit von Typ 5 aneignet, etc.
Der Beitrag, den der Mensch zu seiner Erlösung selbst leisten kann und soll, erscheint in der Beschreibung durch Beesing/Nogosek/O’Leary beträchtlich. Im Grunde wächst sich die „Arbeit an sich selbst“ zu einem regelrechten Konkurrenzmodell zu dem oben beschriebenen Grundsatz aus, wonach die Initiative der Erlösung ganz auf Seiten Gottes gesehen wurde. Die dadurch entstehende Spannung bleibt letztlich ungelöst.
Diese Spannung spiegelt sich dann auch in der Funktion, die Jesus im System der Theologen erfüllt. Am Rande kommt er zwar als Erlöser zur Sprache, der den „Lösepreis für alle Menschen beglichen (hat) durch sein Leiden und seinen Tod“. (S. 168) Weit größeren Raum nimmt jedoch die Beschreibung Jesu als vollendete Verkörperung der positiven Eigenschaften der neun Typen ein. Schon das Titelbild (der deutschen Übersetzung) von Beesing/Nogosek/O’Leary zeigt eine durch das Enneagramm eingefasste Christus-Ikone. Ein ganzes Kapitel ist dann auch mit dem Titel „Jesus im Spiegel des Enneagramms“ überschrieben. Darin werden die Eigenschaften Jesu zusammengetragen, die den positiven Zügen der neun Typen entsprechen. Wie Typ 1 hat Jesus Ideale, wie Typ 2 dient er anderen, er ist kein Feind des Erfolges (3), ist einfühlsam (4), liebt die Weisheit (5), ist treu (6), optimistisch (7), er kämpft gegen Ungerechtigkeit (8) und ist geduldig (9). Kurz, Jesus „ist der erste ganzheitliche Mensch im vollen Sinn. Indem er alle Aspekte des menschlichen Wesens in sich zuließ, vermied er die Unausgeglichenheit, die dadurch entsteht, dass man mit allen Mitteln nur einen bestimmten Teilaspekt des Menschseins zu retten und zu verteidigen sucht.“ (S. 133)
Jesus kommt mehr als Vorbild des integrierten Menschen in den Blick, denn als Erlöser. Die christliche Überzeugung, dass der Mensch in Christus nicht nur ein Vorbild erhalten hat, sondern dass Gott in Christus die Bedingungen für ein neues, versöhntes Verhältnis zu seiner Schöpfung geschaffen hat – diese Überzeugung findet in dem Konzept von Beesing/Nogosek/O’Leary leider keinen Widerhall.
Wie auch immer – auf jeden Fall haben „die Jesuiten“, deren Konzept seinen Niederschlag in dem Buch von Beesing/Nogosek/O’Leary gefunden hat, den Grundstein gelegt für eine christliche Enneagramm-Tradition, zu welcher bald so profilierte, aber auch so verschiedene Interpretationen wie die von Don Richard Riso und von Richard Rohr gehören sollten.

Johannes Bartels

Johannes Bartels ist Theologe und wohnt in Leipzig. Zur Zeit schreibt er eine Doktorarbeit über das Enneagramm im Kontext evangelischer Erwachsenenbildung.

1 Vgl. zum Enneagramm G.I.Gurdjieffs EnneaForum 16/1999, S. 17ff.
2 Jerry Wagner, Chicago Enneagram History, in: Enneagram Monthly Juli/1996, S. 12.
3 Beesing, Maria/Nogosek, Robert J./O’Leary Patrick H.: The Enneagram: A Journey of Self Discovery, Denville, NJ 1984 (deutsch: Das wahre Selbst entdecken. Eine Einführung in das Enneagramm, Würzburg 1992). Die Seitenangaben in diesem Artikel beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf die deutsche Übersetzung.
4 Die abkürzende Rede von „den Jesuiten“ begegnet in der Enneagramm-Literatur häufig. Sie verschleiert allerdings, dass nicht nur Jesuiten an der christlichen Rezeption des Enneagramms beteiligt waren, wie ja bereits die Zusammensetzung der Autorengemeinschaft M.Beesing OP, R.Nogosek CSC und P.O’Leary SJ zeigt. Zudem hat es eine offizielle Stellungnahme des Jesuiten-Orden zum Enneagramm nie gegeben. Es waren jedoch in erster Linie Jesuiten, die bei der Aneignung und Verbreitung des Enneagramms ganz eindeutig die Vorreiterrolle übernommen haben. Von daher ist die abkürzende Rede von „den Jesuiten“ nicht ganz unberechtigt.
5 Vgl. zum Enneagramm O.Ichazos EnneaForum 17/2000, S.19ff.
6 Vgl. Rodney Collin: El Desarollo de la Luz, Mexico City 1952. (engl.: The Theory of Celestial Influence. Man, the Universe and Cosmic Mystery, Boulder, Colo./London 1984). Auch Collins Deutung dieser Pfeile, weist bereits in die von den Jesuiten durchgesetzte Richtung.
7 Nach eigenen Angaben hatte Naranjo die heute grundlegend gewordene Pfeiltheorie schon 1971 gelehrt, vgl. Wandlung durch Einsicht. Die Enneagrammtypen im Leben, in der Literatur und in klinischer Praxis, Petersberg 1999, S.400 Anmerkung 19.
8 Vgl. Paradigm Shifts. The Connecting Lines of the Enneagram Figure, in: Enneagram Monthly July/August 1999, S.22.
[aus: EnneaForum 19, Mai 2001, S. 17-21
Aus EnneaForum 19 (), S. © Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm e.V., Celle. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Auf den Spuren des Enneagramms 4
Johannes Bartels
Teil IV: Die Suche nach dem „Ur-Enneagramm“

Wie alt ist das Enneagramm nun wirklich? Im Umkreis Gurdjieffs, des Magiers aus dem Kaukasus, wurde dunkel von uralten Geheimquellen des Enneagramms orakelt – allerdings ohne irgendwelche Belege zu nennen. Seitdem lässt es den Enneagramm-AutorInnen keine Ruhe. Mit unermüdlichem Eifer werden immer neue Theorien über das „Ur-Enneagramm“ aufgestellt. Die meisten dieser Theorien stammen aus dem Reich der Phantasie. Immerhin aber gibt es zwei alte Figuren, die dem Enneagramm erstaunlich ähnlich sehen und die möglicherweise als Vorstufen des Enneagramms in Betracht kommen. Im letzten Teil seiner Serie über die Spuren des Enneagramms stellt Johannes Bartels die beiden Figuren vor.

Die „figura T“ des Raimund Lull
Raimund(us) Lull(us) wurde 1232 oder 1233 auf Mallorca geboren. Nachdem er das Leben zunächst, wie er später bekennt, in vollen Zügen ausgekostet hatte, hatte er um 1263 ein Bekehrungserlebnis, verbunden mit wiederholten Visionen des Gekreuzigten. Daraufhin beschloss er, sein Leben fortan der Bekehrung der Sarazenen zu widmen. Auf Gewalt wollte er dabei ganz verzichten und stattdessen versuchen, die Ungläubigen im Dialog und ausschließlich mit Vernunftmitteln von der Wahrheit des christlichen Glaubens zu überzeugen. Zu diesem Zweck nahm er sich vor, ein Buch zur Bekehrung der Ungläubigen zu schreiben – welches das Beste auf der ganzen Welt sein sollte. Doch erst zehn Jahre später, also 1273, erhielt er die entscheidende Inspiration für dieses Buch: Auf dem Berg Randa will er durch göttliche Eingebung eine „Kunst“ erlangt haben, mit deren Hilfe ihm seine missionarischen Bemühungen gelingen sollten. Diese „ars“ (= Kunst) wurde von nun an zum beherrschenden Mittelpunkt seines unermüdlichen literarischen Schaffens. In immer neuen Anläufen modifizierte er seine Grundidee und baute sie letztlich zur universalen Methode eines streng logisch konstruierten philosophischen Systems aus, in dem er neuplatonische, jüdische, christliche und muslimische Traditionen zu einer originellen Synthese verschmolz. Im Zentrum dieses Systems aber stand das Bemühen um eine rationale Durchdringung der Trinitätslehre, und das heißt für Lull: die Idee des in sich differenzierten, dynamisch bewegten einen Gottes.1
Die beiden wichtigsten Elemente der ars sind zwei Schemata von „absoluten“ und „relativen Prinzipien“, die mit Hilfe von kreisförmig umrandeten Sternfiguren schematisch dargestellt werden. Das System der „absoluten Prinzipien“ oder auch „Grundwürden“ Gottes (dignitates) wird durch „figura A“ repräsentiert, das der „relativen Prinzipien“ durch „figura T“. Nach kabbalistischem Vorbild kennzeichnet Lull nicht nur seine Figuren, sondern auch die darin symbolisierten Prinzipien mit Buchstaben. Das A ist als erster Buchstabe des Alphabets Gott selbst vorbehalten, dessen Eigenschaften in figura A zusammengestellt sind. In der ursprünglichen Fassung der ars2 enthält diese Figur noch 16 Grundwürden, welche reihum nach den weiteren Buchstaben des Alphabets, also B bis R, benannt werden. Das S entfällt zunächst auf eine „figura S“, die jedoch bald aus Lulls System wieder verschwindet. Der folgende freie Buchstabe nach S ist T, und so erhält das Schema der „relativen Prinzipien“ den Namen figura T. Die einzelnen relativen Prinzipien werden dann wieder entsprechend den absoluten Prinzipien mit den Buchstaben B bis R benannt. Figura T wird übrigens auch als „figura triangulorum“ bezeichnet, da sie aus mehreren um einen gemeinsamen Mittelpunkt gedrehten Dreiecken besteht.
Abb.: Raimund Lulls figura A und figura T (Quelle: Raimundus Lullus, Ars generalis ultima = Raimundi Lulli Opera Latina, Tomus XIV, Turnholt 1986)
Es ist nun eine späte Fassung dieser drei Dreiecke umrandenden Kreisfigur, die dem Enneagramm ähnelt. Allerdings sind auch die Unterschiede nicht zu übersehen: Im Enneagramm sind zwei der Dreiecke zu einem Sechseck verbunden; zudem sind Lulls Buchstaben durch Ziffern ersetzt; auch die Namen der beiden Figuren unterscheiden sich.
Von diesen äußeren Unterschieden abgesehen geht es Lull auch in inhaltlicher Hinsicht um etwas ganz Anderes als um Persönlichkeitsmuster:
Die absoluten Prinzipien sind für Lull zunächst neun Namen oder Eigenschaften Gottes. Später gelangt er zu der Auffassung, dass alles Sein, wenn auch in unterschiedlichem Maße, diese Eigenschaften mit Gott teile.3 Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Prinzipien der Gutheit (bonitas), Größe (magnitudo), Dauer (duratio), Macht (potestas), Weisheit (sapientia), Wille (voluntas), Tugend (virtus), Wahrheit (veritas) und Herrlichkeit (gloria).
Mit seinem System der relativen Prinzipien hingegen entwirft Lull ein Gegenmodell zu der ursprünglich schon von Platon vertretenen Lehre, dass alles Sein entweder eine Eigenschaft (z.B. geschaffen) oder deren Gegenteil (ungeschaffen) aufweise, und dass es dazwischen kein Drittes gebe. Anders als Platon ist nun Lull der Ansicht, dass es doch eine dritte, vermittelnde Ebene gebe. Nach diesem Modell kann alles Seiende erstens unterschiedlich (Prinzip der differen-tia) oder zweitens übereinstimmend (concordia) oder drittens gegensätzlich (contrarietas) sein; es ist erstens Beginn (principium) oder zweitens Mitte (medium) oder drittens Ende (finis); und es ist schließlich erstens größer (majoritas) oder zweitens gleich (aequalitas) oder drittens geringer (minoritas).4
Weder mit den absoluten noch mit den relativen Prinzipien geht es Lull also darum, verschiedene Persönlichkeitsmuster zu ordnen. Insofern ist es einfach falsch, wenn die Lullschen Schemata als direkte Vorstufe der heute als „Enneagramm“ bekannten neunfältigen Charaktertypologie verstanden werden. – Bei näherem Hinsehen zeigen sich dann allerdings doch einige Bezüge, die dafür sprechen, zumindest einen indirekten Zusammenhang nicht ganz auszuschließen.
So erinnert es an Lulls innere Differenzierung Gottes in neun Grundwürden (figura A), wenn Oscar Ichazo neun Qualitäten der „Essenz“ unterscheidet, die gleichbedeutend sind mit den „Ideen“ über das Heilige („heilige Vollkommenheit“, „heilige Freiheit“, etc.).5 Im Einzelnen unterscheiden sich beide Listen jedoch erheblich. Deutlicher zeigt sich dagegen die Nähe des Systems Ichazos zu der anderen Figur Raimunds, der figura T. Diese Figur findet sich auch bei Ichazo, und zwar als „enneagram of orientation“, wodurch das „dritte Gesetz der Trialektik“ bzw. das „law of attraction“ veranschaulicht werden soll.6 Im Vergleich zur figura T fehlt bei Ichazo nur das innere T, ansonsten sind beide Schemata identisch. Die Bedeutung ist bei Ichazo allerdings eine völlig andere als bei Lull. Weit entfernt von Lulls System der relativen Prinzipien bestimmt das law of attraction die Integrations- bzw. Desintegrationsbewegungen der neun Typen (ähnlich der bekannten Pfeiltheorie, wie sie von Beesing/Nogosek/O’Leary schriftlich erstmals fixiert worden ist7).
Größere Ähnlichkeit zu der Bedeutung von Raimunds figura T weist dann schon eher Gurdjieffs „Gesetz der Drei“ auf. Ähnlich wie Lull zwischen einem positiven Prinzip und dessen Negation noch ein drittes, vermittelndes Prinzip kennt, spricht Gurdjieff von einem „neutralisierenden“ Prinzip, das neben der positiven und der negativen als „dritte Kraft“ existiere.8 Folgt man Gurdjieffs Ausführungen weiter, so stellt sich allerdings heraus, dass Gurdjieff das Gesetz der Drei eigentlich ganz anders versteht: Da ist die Rede von einer verborgenen „dritten Kraft“, mit deren Hilfe der Mensch aus der mechanistischen Selbstblockade befreit werden könne. Wie auch immer: In seiner von Gurdjieff immerhin zitierten Grundbedeutung erinnert das Gesetz der Drei jedenfalls an Lulls figura T.
Es scheint, als sei Raimunds Philosophie in den Kreisen um Gurdjieff nicht unbekannt gewesen. Das jedenfalls behauptet der Gurdjieff-Experte James Webb: „Die Lullsche ars war in Gurdjieffs Petersburger Gruppe bekannt – sie war von Anna Butkovsky und Athony Charkovsky wiederentdeckt worden – und diese Tatsache allein mag dafür verantwortlich gewesen sein, dass Gurdjieff in seinen Gesprächen mit diesen Leuten auf das Enneagramm zurückgegriffen hat.“9 Wenn man auch den Namen Lull in Gurdjieffs ‚Vorlesungen’ vergebens sucht, so ist doch offenbar nicht ausgeschlossen, dass er die figura T gekannt und daran angeknüpft hat. Sollte dies der Fall sein, heißt das jedoch zugleich, dass er Raimunds ars lediglich zum Ausgangspunkt genommen hat, um seinen eigenen, völlig unterschiedlichen Ansatz zu entfalten.
Für das Enneagramm als Charaktertypologie spielt Lull jedenfalls keine Rolle, und ich kann daher auch nicht recht erkennen, inwiefern es lohnen würde, „Lulls Bedeutung für die Enneagrammforschung tiefer zu ergründen.“10

Die „Enneade“ des Athanasius Kircher
Der aus Geisa bei Fulda stammende Athanasius Kircher (1602-80), der von manchen als unseriöser „Charlatan“,11 von anderen als „geistiger Koloß“12 bezeichnet wird, repräsentiert geradezu das Klischee des jesuitischen Universalgelehrten der Barockzeit. Innerhalb des Jesuitenordens genoss er offenbar einen geradezu unbegrenzten Freiraum, um seinen vielfältigen Forschungsinteressen nachzugehen. Er beschäftigte sich mit magnetischen, akustischen und medizinischen Experimenten, mit der Geschichte des antiken Latium, Musiktheorie, Vulkanologie, ägyptischen Hieroglyphen, Magie und vielen weiteren Kuriositäten. Einmal ließ er sich sogar in den Krater des Vesuv abseilen, um die Auswirkungen eines Ausbruchs zu untersuchen. Eines seiner zahlreichen und zum Teil für ihre großartigen Kupferstiche berühmten Werke ist der Lullschen ars gewidmet, von der er sich zu einer Art symbolischer Logik inspirieren lässt. In einer weiteren Schrift, der „Arithmologia“ von 1665, befasst er sich mit esoterischer Symbolik und Zahlenmystik.
Dieses Buch enthält nun eine neuneckige Figur, deren Geometrie weitgehend identisch ist mit Raimunds figura T – nur, dass das T im Innern der Figur durch ein viertes, kleineres Dreieck ersetzt ist. Auch die entlang der Kreislinie angeordneten Buchstaben B – K fehlen hier; stattdessen steht oben über dem Kreis das Wort „Hierarch“.13
Kircher gibt seiner Figur keinen eigenen Namen, erklärt aber, dass sie das Prinzip der „Enneade“ (= Neunheit) repräsentiere. Die Zahl Neun wird von Kircher hoch geschätzt, weil sie das göttliche Prinzip der Trinität gleich doppelt enthält, nämlich als dreifache Dreiheit. Dabei bedeutet die Selbstpotenzierung der Dreieinigkeit, dass diese nicht abgeschlossen in sich selber ruht, sondern sich „nach außen bewegt“,14 indem sie die Schöpfung aus sich entlässt. Das zeigt sich nach Kircher zunächst und besonders anschaulich in der himmlischen Schöpfung. Denn die himmlische Welt gliedert sich nach traditioneller Lehre in neun Engelchöre. Diese Vorstellung, die wohl bereits auf Dionysius Areopagita zurückgeht, hatte auch Raimund Lull schon zu seinen neuneckigen Figuren inspiriert,15 – ganz ähnlich wie jetzt eben Kircher. Freilich dient das enneadische Prinzip auch bei Kircher nicht nur zur Gliederung der Engelwelt, sondern wird entsprechend auch auf andere Bereiche angewendet, z.B. die Welt der Sterne, der Elemente, der menschlichen Sinne und der Musen.16 Nur eine Anwendung auf Temperamente oder Charaktere sucht man bei dem Jesuiten vergebens. Mit dem Enneagramm der Persönlichkeitstypen hat seine Enneade also nicht das Geringste zu tun.
Gleichwohl gibt es auch bei Kircher Parallelen zu Ichazo und Gurdjieff. Für Ichazo ist zunächst wieder festzuhalten, dass Kirchers Figur dem enneagram of orientation sehr ähnlich ist. Der einzige Unterschied besteht in dem bei Ichazo fehlenden inneren Dreieck. Darüber hinaus bezeichnet Ichazo seine Neunerreihen, wie Kircher, als „Enneaden“.17 Und schließlich ist es immerhin möglich, dass Kircher indirekt den Weg zur Charaktertypologie gewiesen hat. Denn die von ihm beschriebene neunfältig gegliederte Gestirnswelt trägt – wie später bei Rodney Collin – die Züge einer archaischen Psychologie. So steht der Saturn für Weisheit, Jupiter für Majestät und Gerechtigkeit, Mars für überschießende Kraft, etc.18
Wichtiger aber erscheinen die Parallelen des Systems Kirchers zu demjenigen Gurdjieffs. Am auffälligsten ist die gemeinsame Vorstellung eines von Gott ausgehenden Strahls, der die verschiedenen Ebenen der Schöpfung mit abnehmender Intensität durchleuchtet. Gurdjieff spricht in diesem Zusammenhang vom „Schöpfungsstrahl“.19 Auf dem kunstvollen Titelkupfer von Kirchers „Arithmologia“ wird der göttliche Strahl sogar mit der Enneaden-Figur kombiniert.
„Die Gottheit, dargestellt als Auge in einem Dreieck, das dreimal durch die hebräischen Buchstaben JH markiert ist, sendet ihre Strahlen auf dem Weg über die neun Engelscharen in ihren drei dreieckigen Abteilungen in die Welt. Die Engel bewohnen die himmlische oder archetypische Welt. Darunter sind die Sphären der sieben Planeten, umgeben von den Fixsternen des Tierkreises und dem primum mobile. Die Erde befindet sich in ihrem Zentrum.“20 Kircher hat sich offenbar durch seine Studien der alten Religion Ägyptens zu der Vorstellung des Gottesstrahls inspirieren lassen. Jedenfalls galt ihm die Lehre der Weltseele, die den Kosmos mit einem Strahl aus Liebe erfüllt, als „Zusammenfassung der ‚ägyptischen‘ Philosophie“.21 Der Jesuit war erfüllt von der Hoffnung, in einer geheimen ägyptischen Ur-Lehre die Quelle der großen esoterischen Traditionen der Welt zu finden,22 – eine Leidenschaft, die ihn übrigens wieder mit Gurdjieff verbindet. Dieser vertrat nämlich die Auffassung, dass in Ägypten schon vor vielen tausend Jahren eine esoterische Vorform der christlichen Religion existiert habe, die über „Schulen der Wiederholung“ tradiert worden und mit der Zeitenwende letztlich in das öffentliche Christentum übergegangen sei.23
Eine weitere Parallele zwischen Kircher und Gurdjieff besteht schließlich darin, dass sich beide intensiv mit der Harmonielehre beschäftigen. Dabei wird Harmonie von beiden als philosophische Kategorie verstanden. „In der Tat ist das Wort ‚Harmonie’ ein Schlüsselbegriff der Welt- und Musikauffassung Athanasius Kirchers. … Konsonanz und Dissonanz z.B. sind bei ihm nicht schlechtweg musikalische Begriffe, sie bedeuten viel umfassender Gegensatzpaare in der Einheit der höheren Ordnung.“24 Vor diesem Hintergrund schreibt Kircher der Musik einen heilsamen Einfluss auf Krankheit zu, die er als Ausdruck von innerer Dissonanz begreift.25 Ähnlich verfolgt Gurdjieff das Ziel einer „harmonischen Entwicklung des Menschen“26 durch das Erreichen immer „höherer Oktaven“.27James Webb ist überzeugt, dass Gurdjieff durch sein Interesse an einer Philosophie der Harmonie auf die Spur Kirchers gestoßen sein muss.28 Daher hält er die Enneaden-Figur der Arithmologia, von der er anmerkt, sie sei als „enneagram“ bekannt gewesen,29 für eine zentrale Quelle des Gurdjieffschen Systems. Falls Webb damit richtig liegt, so kann die Bedeutung des Enneagramms Gurdjieffs jedoch nicht direkt daraus abgeleitet werden; denn es stellt sich dann die Frage: “Wenn dies die Figur ist, die in der Tradition als ‚Enneagramm’ bekannt war, warum ist Gurdjieffs Figur anders, und was könnte das bedeuten?”30 Webb schlägt selbst eine Antwort vor. Er geht davon aus, dass das Sechseck bei Gurdjieff für den Menschen stehe, während mit dem Dreieck das Göttliche repräsentiert werde. Wenn nun im Enneagramm beide Figuren miteinander verknüpft werden, so werde damit nichts anderes ausgedrückt als die Vereinigung des Menschen mit dem Göttlichen.31
Wie dem auch sei, jedenfalls findet sich eine ursprüngliche Fassung der neunfältigen Charaktertypologie – und darauf kommt es hier an – weder bei Lull noch bei Kircher. Das Enneagramm als Charaktertypologie ist damit vor Gurdjieff genauso wenig belegt wie bei ihm selbst. So bedauerlich es sein mag: Ein „Ur-Enneagramm“ im Sinne einer jahrhundertealten Persönlichkeitstheorie gibt es nicht.

Johannes Bartels

Johannes Bartels ist Vikar in Leipzig und schreibt eine Doktorarbeit über „das Enneagramm im Kontext religiöser Erwachsenenbildung“.

Anmerkungen
1 Vgl. Riedlinger, H.: Artikel „R.Lullus“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995, 491.
2 Sie findet sich in Lulls Schrift „Ars major
3 Vgl. Platzeck, Erhard Wolfram: Raimund Lull. Sein Leben – seine Werke. Die Grundlagen seines Denkens (Prinzipienlehre) Bd. 1, Düsseldorf 1962, 201.
4 Vgl. Platzeck, Lull 209.
5 Vgl. zu Ichazo EnneaForum 18, 19–23.
6 Vgl. Ichazo, in: Enneagram Monthly 21 (November 1996) 18.
7 Vgl. zu Beesing/Nogosek/O’Leary EnneaForum 19, 17–21.
8 Vgl. zu Gurdjieff EnneaForum 17, 17–21.
9 Webb, James: The Harmonious Circle. The Lives and Work of G.I.Gurdjieff, P.D.Ouspensky, and Their Followers, London 1980 und New York 1980, 519. Leider sagt Webb nicht, woher er weiß, dass Butkovsky und Charkovsky Lulls ars gekannt haben.
10 Rohr, Richard / Ebert, Andreas: Das Enneagramm. Die neun Gesichter der Seele, München 351999, 32.
11 Erman: Artikel „Kircher, Athanasius“, in: Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 16, Berlin 1969, 3.
12 Godwin, Joscelyn: Athanasius Kircher. Ein Mann der Renaissance und die Suche nach verlorenem Wissen, Berlin 1994, 7.
13 Kircher, Athanasius: Arithmologia sive De abditis Numerorum mysterijs, Rom 1665, 277
14 Kircher, Arithmologia 277.
15 Vgl. Platzeck, Lull 94; 202.
16 Vgl. Kircher, Musurgia universalis, Rom 1650 (Faksimileausgabe Hildesheim 1970), Bd. II 393; Arithmologia 278.
17 Vgl. Ichazo, in: Enneagram Monthly 21 (November 1996) 20.
18 Vgl. Kircher, Musurgia universalis (deutsch hg. v. Wolfgang Goldhan), Leipzig 1988, 369–371.
19 Gurdjieffs Lehre vom Schöpfungsstrahl wird wiedergegeben von Ouspensky, Piotr Demianowitsch: Auf der Suche nach dem Wunderbaren. Perspektiven der Welterfahrung und der Selbsterkenntnis, Bern/München/Wien 91997, 118–137.
20 Godwin, Kircher 82.
21 Godwin, Kircher 20.
22 Vgl. Godwin, Kircher 15.
23 Vgl. Ouspensky, Suche 444f.
24 Goldhan, in: Kircher, Musurgia (deutsch) Nachwort 4.
25 Vgl. Goldhan, in: Kircher Musurgia (deutsch) Nachwort 7.
26 Entsprechend nannte Gurdjieff sein Institut bei Paris „Institut zur harmonischen Entwicklung des Menschen“.
27 Ouspensky, Suche 191.
28 Vgl. Webb, Circle 512.
29 Webb spricht von Kirchers Enneade als einer „figure called an ‚enneagram’“, vgl. Circle 507. Bei Kircher selbst fehlt das Wort „Enneagram“ jedoch. Möglicherweise ist seine „Enneade“ in der (englischsprachigen?) Sekundärliteratur irgendwo zum „enneagram“ geworden. Leider nennt Webb keinen Beleg.
30 Webb, Circle 509.
31 Vgl. Webb, Circle 513.

Aus EnneaForum 20, November 2001, S. 19-23
© Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm e.V.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm.

Richard Rohr, Andreas Ebert

Das Enneagramm
Die 9 Gesichter der Seele

Claudius Verlag, Erstauflage: 1990, 48. Auflage: 2013, ISBN-10: 3532623951

Buchbesprechung

Buchbesprechung – Überarbeitung eines Bestsellers

Ohne Frage ist „Das Enneagramm“ von R. Rohr und A. Ebert für die meisten ÖAE-Mitglieder das Buch der ersten Begegnung mit dem Enneagramm. Richard Rohr war es, der damit als Erster das Enneagramm in Deutschland bekannt machte und 1989 gemeinsam mit Andreas Ebert dieses einführende Buch veröffentlichte. Es war wie ein Startschuss mit dem Ergebnis, dass in Folge eine Fülle von Buchveröffentlichungen zu diesem Thema erscheinen sollten. Innerhalb weniger Jahre machten sie das Enneagramm erstaunlich populär. Und es waren sehr bald nicht nur Bücher, die uns das Enneagramm näher brachten. Es erschienen u.a. Spiele und Videos, CD-Rom und PC-Programme. Auch unser Verein wurde in dieser Anfangszeit gegründet und trug mit zur Verbreitung und Klärung des Enneagrammgedankengutes bei.
Zehn Jahre weiter erschien nun die überarbeitete Neuauflage des Standardwerkes. Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Es handelt sich bei der Neuauflage um eine behutsam renovierte Fassung, in der die Erstauflage erkennbar bleibt. Der Charakter des Buches ist ganz der alte, denn in weiten Passagen ist die Neuauflage völlig identisch mit der Erstausgabe. Und das scheint auch gut so zu sein. Ein „Erfolgsmodell“ sollte man ohne Not doch wohl nur behutsam ändern.
Es gibt vor allem drei bemerkenswerte Veränderungen, die ins Auge fallen. Die erste betrifft die Herkunft des Enneagramms. Sie wird nicht mehr allein der sufistischen Tradition zugeordnet, sondern den Wüstenvätern, mithin einer christlichen Quelle. In der „Lehre von den Leidenschaften“ des Evagrius Ponticus aus dem 4. Jh. n. Chr. wurden von Andreas Ebert und Anderen erstaunliche Parallelen zum Enneagramm entdeckt. Dieses Werk wird als die älteste Quelle dieser Art und Ursprung auch der sufistischen Enneagrammtradition bezeichnet. Das genannte völlig neu geschriebene Kapitel wird mit Sicherheit nichts daran ändern, dass die Herkunft des Enneagramms weiter umstritten bleiben wird. Ich persönlich halte es auch nicht für so entscheidend, ob die älteste Quelle nun christlich, islamisch oder gar neuzeitlich ist. Entscheidend für mich ist die Frage, ob es im Widerspruch zu meinem christlichen Glauben steht oder ihn, wie ich finde, wunderbar ergänzt und in den weiten Raum passt, in den wir als Christen gestellt sind.
Die zweite Veränderung des Buches betrifft die Personenbeispiele, die Rohr/Ebert zur Illustration der Typen anführen. Viele der bisherigen Persönlichkeiten sind uns europäischen Christen einfach zu unbekannt gewesen, und es macht Sinn, hier uns bekanntere Beispiele anzuführen.
Die dritte Veränderung betrifft die Bebilderung des Buches. Ich will meine Begeisterung für die Fotos von Andreas Caspari nicht verhehlen, dem es auf so unnachahmliche Weise gelungen ist, uns die 9 Typen so originell und überzeugend nahe zu bringen. Das ist bemerkenswerte Fotokunst.
Die entscheidende Frage für viele von uns zuletzt: Lohnt es sich die Neuauflage zu erwerben? Ich antworte mit einem eindeutigen: „Es kommt drauf an“. Für Neuinteressierte, die das Buch von Rohr/Ebert bisher nicht kannten, ist eine Anschaffung sicherlich sinnvoll. Sie sollten je nach Geldbeutel allerdings u.U. warten, bis die preiswertere Paperbackausgabe erscheint.
Für diejenigen unter uns, die die Erstauflage bereits besitzen, lässt sich kein eindeutiger Ratschlag geben. Es kann für Liebhaber Sinn machen, die schöne gebundene Neuauflage zu erwerben. Aber auch den an den Neuerungen Interessierten darf die Anschaffung selbstverständlich empfohlen werden. Denn die Art und Weise, wie das Enneagramm von Rohr/Ebert dargestellt wird, hat immer noch eine erhebliche Ausstrahlung und Faszination. Dieses Buch wird auch in Zukunft das Standardwerk in Sachen Enneagramm bleiben.

Ulrich Krämer
in: EnneaForum 17, Mai 2000, S. 16

Interview

Eine Tradition, die sich selbst korrigiert
Andreas Ebert und Richard Rohr im Gespräch mit Marion Küstenmacheranläßlich des 300.000. Enneagrammbuches am 21. Juni 1999

von Marion Küstenmacher

ÖAE: Herzlichen Glückwunsch zum 300.000sten verkauften Exemplar eures Buches! International liegt die Auflage durch die mehr als 12 Lizenzausgaben ja noch weit höher. Ihr habt es geschafft, gegen den rückläufigen Trend auf dem religiösen Buchmarkt einen Megaseller zu plazieren. Euer kommerzieller Erfolg wurde von unseren LeserInnen auch inhaltlich bestätigt: Sie haben euer Buch zum beliebtesten aller deutschsprachigen Enneagrammtitel gewählt. Der Grund: Euer persönliches Engagement, die lebendige Sprache und die vielen sprituellen Impulse. Viele nannten die Lektüre Eures Buches ein Schlüsselerlebnis, das ihr Leben entscheidend verändert hat. Habt Ihr auch von solchen Erfahrungen erzählt bekommen?

Richard: Ja, ständig, es ist wahrscheinlich die allerwichtigste Erfahrung die ich machen konnte. Die Menschen, denen ich begegne, erzählen mir, daß es ihr Leben verändert hat und daß sie nach dem Lesen nicht mehr die selben waren wie vorher. Die wertvollsten Aussagen betreffen Partnerschaft und Ehe. Viele sagen mir, daß sie das Gefühl haben, die Kenntnis des Enneagramms habe ihre Ehe gerettet. Und das macht mich überglücklich! Sie sagen: „Das Enneagramm hat mir endlich einen Weg gezeigt, meinen Ehepartner zu verstehen. Es ermöglicht mir sogar, kritische Dinge zu meinem Ehepartner zu sagen, ohne dabei gefühlskalt zu wirken. Ich sage: Jetzt bist du wieder zu viel die Sieben oder die Eins oder welches Muster es eben ist. Wir haben jetzt eine neue Sprache gefunden.“ Für mich ist diese neue Sprachebene etwas ganz Tolles. Bei Beziehungsproblemen und im Streit übertreiben wir sonst meistens die Schattenseiten des anderen oder wir vermeiden es ganz, etwas auszusprechen. Und dann heizt sich innerlich alles auf. Das Enneagramm bietet uns da eine „mittlere Tonhöhe“ an, eine Sprache, die „abgekühlt“ genug ist, um anzukommen und verstanden zu werden. Wir können also unseren Partnern oder Freunden gegenüber Kritik üben, ohne kritisch zu sein – und das ist das Wunderbare.

Andreas: Drei Geschichten fallen mir spontan ein. Meinem früheren Schuldirektor, den ich nach vielen Jahren wieder traf, schenkte ich aus Freude über das Wiedersehen unser Enneagrammbuch. Er hat mir einen Brief geschrieben. Er hatte dieses Buch erst einmal in sein Bücherregal gestellt und erst ein Jahr später, „komischerweise“ an Pfingsten, hatte er das Gefühl, er solle es lesen. Er hat dann die Eins aufgeschlagen, gelesen und gemeint: „Ich habe plötzlich mein Leben verstanden. Mit 70 Jahren habe ich in Nachhinein mit Erschrecken und gleichzeitig einem Glücksgefühl begriffen, was mein Leben war, was mein Muster war.“ – ein wunderbarer Brief!
Eine zweite Begebenheit: Einem jüngeren Pastor, eine Acht, ein Evangelikaler bzw. fast schon ein Fundamentalist, dessen Frau gestorben war, fiel in der Trauerzeit unser Buch in die Hände. Er sagte zu mir, er hat im Nachhinein begriffen, was in ihrer Ehe schiefgelaufen ist. Es hat ihm, so schwer das war, unwahrscheinlich bei der Trauerarbeit geholfen, weil ihm das Enneagramm das Instrument geliefert hat, diese Beziehung zu verstehen.
Die dritte Begegnung: Eine unserer Verantwortlichen vom ÖAE schrieb mir vor langer Zeit einen Brief und berichtete von einem wunderbaren Wandlungsprozeß in ihrem Leben, ausgelöst durch die Lektüre des Buches. Diese Veränderung zu einem erlösteren Leben hin konnte ich von außen regelrecht miterleben und sehen. Allein diese drei Geschichten sind für mich sehr beglückend.

ÖAE: Ihr habt nach 10 Jahren beschlossen, dieses Buch in veränderter Aufmachung mit neuem Cover und inhaltlicher Überarbeitung erscheinen zu lassen. Warum ändert ihr einen „Klassiker“?

Andreas: Wir ändern es nicht wirklich. Es geht nicht um eine grundlegende Revision, wir haben kein neues Buch geschrieben. Aber es gibt einige Erkenntnisse, die dazugekommen sind, z.B. über die Entstehungsgeschichte des Enneagramms. Wir haben herausgefunden, daß die Wurzeln des Enneagramms aller Wahrscheinlichkeit nach christlich sind und nicht sufistisch. Dies habe ich in dem Buch noch mal entfaltet. Bei einigen Typenbeschreibungen gab es Dinge, die wir damals noch nicht so gut verstanden haben, auch Fehler. Auch einige neue Einschätzungen sind hinzugekommen bzw. verändert worden, was Heilige oder biblische Gestalten anbelangt oder die Aktualität lebender Persönlichkeiten (z.B. Reagan oder Gorbatschow sind nicht mehr so aktuell). Es sind kleinere Veränderungen – mehr ist nicht nötig gewesen. Es gibt so viele andere gute Bücher, so daß unseres nicht das Standardwerk sein muß, in dem alles drin steht. Es ist unser Buch geblieben, einfach etwas ‘up to date’.

Richard: Das Wesen einer lebendigen Tradition ist es, wenn eine Tradition sich von innen heraus selbst kritisieren und korrigieren kann. Das ist der Geist der Bibel. Jesus zum Beispiel handelt aus diesem Geist, wenn er am Sabbat Körner pflückt: Er steht in Davids und Abrahams Tradition und erneuert sie von innen heraus … Das Enneagramm hat die Kraft, dies auf eben solche Art zu tun: sich selbst zu korrigieren, sich selbst zu vertiefen, die Kriterien für neue Einsichten von innen heraus zu gewinnen. Wer nur von äußeren Kriterien abhängt, funktionalisiert das Enneagramm und mißversteht es. So ist es nur natürlich, daß wir nach 10 Jahren eine revidierte Ausgabe machen, weil die Enneagrammtradition lebendig ist und uns immer Neues lehrt. Deshalb bin ich sehr froh, daß vor allem Andreas die Energie und Ausdauer aufgebracht hat, unser Buch zu überarbeiten und neue Einsichten zu integrieren.

ÖAE: Gibt es ein anderes Enneagrammbuch, welches ihr schätzen oder lieben gelernt habt?

Richard: Ich mag sehr Suzanne Zuerchers Bücher. Ich denke, sie hat einen sehr spirituellen und wahrhaftig einsichtsvollen Zugang zum Enneagramm, wirklich exzellent. Es ist aber nicht so, daß ich die anderen nicht schätzen würde. Jedes Buch hat seine spezifische Stärke. Und dann fallen mir noch die Bücher von Elizabeth Wagele und Renee Baron ein (Anm. d. R.: Enneagramm leicht gemacht und, noch unübersetzt, Enneagramm for parent consulting); man sieht die vielen Cartoons und denkt, ach, das ist ohne Tiefgang, aber das stimmt nicht, diese Bücher sind gut und sehr nützlich. Ich habe sie auch an meine Geschwister verschenkt, damit sie ihre Kinder besser verstehen können.

Andreas: Ich kann mich da nur anschließen. Welches ich auch schätze, ist das Buch von unseren ÖAE-Mitgliedern Marianne Gallen und Hans Neidhardt, Das Enneagramm der Beziehungen; von diesem habe ich sehr viel gelernt. Und ich habe von vielen Leuten gehört, daß dieses Buch gerade für Partnerschaftsgeschichten (das haben wir ja nur am Rand gestreift, weil wir beide Junggesellen sind) eine ganz wunderbare Hilfe sei. Mein heimliches Lieblingsbuch zum Enneagramm ist Marion Küstenmachers Enneagramm der Weisheit, weil es so eine Schatztruhe ist, mit wunderbaren Geschichten und Gedichten, ein wunderbares Brevier zum Enneagramm, in dem ich immer wieder lese und blättere.

ÖAE: Was hat das Enneagramm euch beiden in den letzten 10 Jahren für Neuerkenntnisse gebracht für euren persönlichen Entwicklungsweg? Ihr habt ja beide mal gesagt, das Enneagramm habe euch schon ein bißchen gelangweilt … Ist das so geblieben oder gibt es nach wie vor etwas am Enneagramm, das euch persönlich herausfordert?

Richard: Ja, da ist noch immer etwas, das mich wirklich herausfordert. Natürlich gibt es manches, das mich langweilt, das habe ich auch gesagt. Aber ich würde lügen, wenn ich nicht zugäbe, daß darin eine Art Schlüssel zur Erkenntnis und der Schau des Wesentlichen verborgen liegt, der jetzt als Intuition in meinem Bewußtsein verankert ist. Und so hilft das Enneagramm mir noch immer in dieser Hinsicht zu lernen und zu wachsen. Es klingt so abgedroschen, so offensichtlich, wenn ich das als Eins sage, aber ich glaube einfach meinen Urteilen nicht mehr. Sie sind immer falsch. Ich habe sie, aber ich glaube ihnen nicht mehr. Sie sind immer falsch und angefüllt mit meinem Ego, meiner Angst, mit all dem, was bei mir auf der Tagesordung steht. Es wendet sich geradezu ins krasse Gegenteil: Was ich für richtig hielt, ist meistens falsch. Von daher ist der Kern, das Herz des Enneagramms für mich wahr und macht mich ebenso betroffen wie vor 28 Jahren. Und es hält an, mir die Augen zu öffnen, solange ich mich nicht von meinem Alltagskram gefangen nehmen lasse.

Andreas: Für mich ist es auch eher etwas Peinliches, was ich sagen muß. Ich hab’ das Gefühl, mich 10 Jahre später in gewisser Weise unerlöster zu fühlen als vorher. Weil ich mit Erschrecken die Tiefe und die Tragik der Verstrickung meines eigenen Lebens immer schonungsloser sehe. Das ist etwas, was sehr weh tut. Dabei merke ich immer wieder, daß das Enneagramm recht hat, daß das, was ich damals entdeckt habe auf einer viel oberflächlicheren Ebene, daß das Muster so brutal ist. Die Unausweichlichkeit und das Erschrecken vor meiner Sünde und Verzweiflung an meiner Verstrickung nehme ich deutlich wahr. Und meine Hilflosigkeit darüber mündet immer tiefer in die Sehnsucht nach Erlösung und nach Gott, denn ich weiß: Ich kann überhaupt nichts machen, ich kann mich nicht ändern. Das Enneagramm hat mich überhaupt nicht auf einen Pfad der Selbsterlösung geschickt, sondern im Gegenteil: Ich war mir noch nie im Leben meiner eigenen Erlösungsbedürftigkeit so gewiß wie heute. Das hat mit den Erkenntnissen des Enneagramms zu tun. Ich muß meiner Sünde in die Augen sehen und kann mir keine Illusionen machen. Ich bin auf Gottes Gnade angewiesen.

ÖAE: Wir haben hier in der Enneagramm-Szene erlebt, daß manche Menschen auch noch nach 4, 5 oder mehr Jahren merken, daß sie doch ein anderes Enneagramm-Muster haben. Wie ist es mit euch beiden? Habt ihr euch das auch gefragt?

Richard: Es kommt manchmal vor, daß mir Freunde sagen: Du bist keine Eins, du bist eine Zwei. Und ich muß zugeben, daß meine Zweier-Anteile so groß sind, daß ich ernsthaft darüber nachgedacht habe, eine Zwei zu sein.

Andreas: … oder auch eine Drei, sagen manche …

Richard: Ja, ich selbst habe das nie gesehen – außer meiner typisch amerikanischen „Dreier-Prägung“ natürlich, die ich kollektiv mitbringe. Ich bin aber von Haus aus nicht ehrgeizig, das weiß ich. Andererseits kann ich eine Menge schaffen, das schaut dann wohl wie bei der Drei aus.

Andreas: … und du bist erfolgreich …

Richard: Die meisten halten mich trotzdem noch eher für eine Zwei. Aber ich würde noch immer sagen, daß meine zugrunde liegende Leidenschaft die der Eins ist. Es gab aber Zeiten wo ich mich fragen mußte, ob ich in Wirklichkeit nicht doch eine Zwei sein könnte. Darum waren meine Aufenthalte in der Einsiedelei so spannend und klärend. Sie gaben mir die Möglichkeit, alles, was immer an Zwei in mir war, zu durchbrechen. Jeder braucht ein Gegenüber in seinem Leben, jeder kennt den Wunsch, für irgend jemanden da und wichtig zu sein. Da steckt aber oft viel wechselseitige Abhängigkeit dahinter und das war bei mir nicht anders. Das zeigte sich in der Einsiedelei. Außerdem nahm es mir bis zu einem gewissen Grad meine Einser-Kritiksucht. Aber vor allem klärte es diese Zweier-Anfragen. Es tat mir so gut und ich fühlte mich so frei in der Einsiedelei. Aber ich weiß, ich stecke oft in dieser Abhängigkeit, daß ich die Bedürfnisse anderer Leute erfülle, und auf sie eingehe und ihnen das Feedback gebe, das sie sich wünschen, da bin ich oft „gefällig“, wenn man so will.

Andreas: Manche Freunde haben mir gesagt, ich könnte auch eine Drei oder Vier sein, mit der Vier habe ich auch geliebäugelt, bin aber zur Zwei zurückgekommen. Ich glaube, daß die Untertypen sehr wichtig sind und daß ich eine selbsterhaltende Zwei bin. Bei Naranjo habe ich gelesen, daß eine selbsterhaltende Zwei mit ihrem Privilegdenken oft wie eine Vier aussieht, und daß die Unabhängigkeit, die Egozentrik und der Individualismus nach außen hin viel sichtbarer sind und man nach außen hin gar nicht unbedingt so danach aussieht, daß man immer für andere da ist. Aber ich habe gemerkt, daß mein inneres Programm und Anspruchssystem ein völliges Zweiersystem ist. Ich habe das schlechte Gewissen, ich tue meiner Meinung nach zu wenig, habe das Gefühl, immer mehr für andere tun zu müssen. So, als bestünde mein Lebenssinn darin, mich für andere zu verströmen. Diese Abhängigkeit und die Schwierigkeit, wirklich bei mir selbst zu bleiben und mich nicht von der Zuwendung anderer her zu definieren, sondern mich mir selbst zuzuwenden, ist meine Lebensaufgabe.

ÖAE: Zur internationalen Enneagramm-Szene: Wie steht ihr zum immer stärker werden Eindringen des Enneagramms in die Business-Welt?

Richard: Ich bin einerseits froh, daß es dorthin vorstößt – auf der anderen Seite beobachte ich dabei eine deutliche Trivialisierung. Es wird reduziert auf reine Funktionalität, auf praktischen Nutzen, auf schnelle Umsetzbarkeit und Hilfe. Es geht nur noch um Pragmatismus, Effektivität – wie wir Amerikaner es eben mit allem machen – anstatt um spirituelles Wachstum und Transformation. Meine Enttäuschung besteht an der Stelle, daß das Enneagramm seine ungeheuere Kraft zur spirituellen Transformation einbüßt zugunsten dieser Trivialisierung. Diese Kritik habe ich auch bei einer Enneagrammtrainer-Konferenz in Denver formuliert und die positive Resonanz darauf war überwältigend. Irgendwie wissen es ja alle und sind dankbar, daß man es sagt. Aber sie wissen nicht, was sie machen sollen. Wie soll man bei einem Training vor United Airlines Leuten von Gnade sprechen und Vergebung und Gott?
Also, das Enneagramm in der Business-Welt, das nenne ich „a mixed blessing“, einen gemischten Segen.

Andreas: Ich sehe dies schärfer als Richard und fast ausschließlich kritisch. Wenn man das Enneagramm in der Unternehmensberatung nutzt, ist die große Gefahr, daß man aus der Not eine Tugend macht. Das Enneagramm wird als Herrschaftswissenschaft verkauft. Man bringt mir bei, was z.B. ein potentieller Kunde für ein Enneagrammtyp ist und wie ich ihn anpacken muß, damit ich ihm mein Produkt verkaufen kann. Hier wird Schindluder betrieben mit einer spirituellen Weisheit, wenn sie so zu Markt getragen wird. Natürlich haben auch wir beide als Buchautoren mit dem Enneagramm Geld verdient. Aber es war nie meine Intention, mit dem Enneagramm Geld zu verdienen und erst recht nicht, damit andere reich und berühmt zu machen. Gerade als Zwei bin ich sehr empfindlich für die Macht der Manipulation. Ich wüßte daher nicht, aus welchem anderen Grund das Enneagramm in der Geschäftswelt eingesetzt werden sollte außer als Herrschaftsinstrument. Gewissermaßen benutzt man doch die Sünde der anderen, um sie leichter zu packen für die eigene Verkaufsstrategie. Ich würde mit dem Enneagramm nicht in der Geschäftswelt arbeiten und habe es auch nicht getan.

Richard: Ich habe es einmal getan für United Airlines in Paris und würde es nicht wieder tun. Es war zwar eine tolle Erfahrung für mich, weil alle so dankbar waren. Ich möchte sie auch nicht verurteilen, denn sie alle haben ja etwas gewagt und eine Menge Zeit und Geld geopfert. Ich weiß auch nicht, ob das dort fortgesetzt wurde, denn ich habe nichts weiter von ihnen gehört. Aber was mich selbst betrifft, so hatte ich das Gefühl, mich selbst zu kompromittieren und gegenüber dem, woran ich glaube, nicht mehr wahrhaftig zu sein. Es ging darum, Geld zu machen, und ich war plötzlich ein Teil davon, auch weil es mich auf dem Business-Sektor und in säkularen Kreisen bekannter gemacht hätte. Es kam mir vor, als würde ich mich prostituieren.

ÖAE: Was haltet ihr denn von dem Prozeßmodell? Es gibt die Typologie, wie ihr und die meisten anderen Autoren sie beschreiben (Jeder ist nur ein Typ). Als Alternative gibt es das Prozeßmodell, nach dem man bei jeder Erfahrung oder Aktion neun Schritte vollzieht. Und die dritte Variante, die Mischung aus beidem: Jeder schlüpft im Laufe seiner Entwicklung in alle neun Typen, bis er das ganze „Enneagrammfeld“ durchwandert und integriert hat.

Richard: Ich möchte natürlich nicht dogmatisch sein. In all dem liegt womöglich etwas Wahres. Aber das ist meine Befürchtung: Es klingt so, als ob es ein moderner, säkularer Versuch ist, zur Ganzheit zu gelangen. Das Evangelium ist um so vieles weiser. Es lehrt uns nicht Ganzheit, es lehrt uns vielmehr Gebrochenheit. Und das ist viel gnädiger und viel hilfreicher als ersteres. Das gibt mir ein Gefühl in Bewegung zu sein und zu wachsen, ohne daß dafür Tiefe notwendig wäre. Ich will nichts verurteilen, aber meine Intuition sagt mir, daß da eine Menge säkularisierter und personalisierter Eschatologie drin steckt, die vielen gar nicht bewußt ist: Haltet bloß nicht mein persönliches Wachstum hin zu meiner künftigen Ganzheit auf! Aber wenn du durch alle neun Muster oder Stadien gegangen bist, wo bist du dann? Ich glaube nicht an die „höheren Ebenen“ beim Enneagramm, das ist nicht franziskanisch. Und es weckt in den Leuten falsche Hoffnungen, die scheitern müssen, weil es um Selbsterlösung geht. Es mag ja auch etwas Wahres dran sein. Auch ich habe in mir schon Aspekte aller neun Typen entdeckt. Aber das ist ja nicht gemeint. Ich fürchte, es verspricht den Menschen ein Ziel, das gar kein wirkliches Ziel ist.
Ich glaube, das Ziel sind nicht die „höheren Ebenen“. Das Ziel des Evangeliums ist viel realitätsbezogener. Es weiß, wo sich dein persönlicher Schrott stapelt. Das Ziel des Evangeliums heißt, erst einmal in deinem schwarzen Dreckloch zu sitzen mit deinem Schmerz, mit deiner Gebrochenheit, mit deiner Trauer. Da unten im Dreck passiert die Verwandlung. Das ist ein völlig anderes Paradigma.

Andreas: Ich möchte noch einen anderen Aspekt hinzufügen. Ich glaube, daß es in bestimmten Prozessen schon hilfreich ist, sich z.B. in einem Rollenspiel oder Bibliodrama in eine ganz andere Person hineinzuversetzen, einen ganz anderen Typus, um diese Seite an sich auch kennenzulernen. Aber der Hauptpunkt kann nur der sein, etwas barmherziger zu sein mit den Menschen, die es verkörpern. Aber wenn das Ziel diese „Ganzheit“ oder das „höhere Bewußtsein“ ist, denke ich an Lehrer, die dieses höhere Bewußtsein lehren. Und gerade von ihnen waren etliche in sehr unschöne Auseinandersetzungen verwickelt um Image- und Urheberfragen zum Enneagramm. Da leuchtet einem so viel Ego entgegen – im Namen der vollständigen „Ego-Überwindung“, daß ich denke: Hier stimmt etwas nicht. Wie kann ein zu höherem Bewußtsein Gelangter und vom Ego „Befreiter“ so eifersüchtig, so kämpferisch, so neidisch auftreten?

ÖAE: Ist es nicht vielleicht so, daß, je länger wir uns mit dem Enneagramm befassen, umso deutlicher auch die Sünde ans Tageslicht kommt?

Andreas: Ich will nicht andere beurteilen. Doch ich bin zutiefst skeptisch und das ist einfach meine zutiefst christliche Überzeugung, daß wir auf dieser Welt nicht zur Erlösung gelangen, sondern daß wir auf einem Weg sind, der wie im Labyrinth mal mehr nach innen, mal mehr nach außen geht. Wir wissen, wir werden in der Mitte ankommen, aber ich glaube, nicht endgültig in diesem Leben. Wir erleben Momente der Gnade, in denen der Vorhang sich teilt und wir dies schauen und merken: Es ist wahr. Und dann gehen wir wieder runter vom Berg der Verklärung, und das Leben ist wieder wahnsinnig banal und wir schämen uns, wie wenig Glauben und Vertrauen wir haben. Es sind nur Momentaufnahmen der Erlösung, die wir in diesem Leben erfahren.

ÖAE: Gibt es noch einen guten Rat, die ihr als Seelsorger weitergeben könnt an unsere ÖAE-Mitglieder?

Richard: Ich möchte warnen vor jeglicher Idealierung einer „Technik“ oder Methode, denn dies wäre doch nur einfach eine andere Art der Selbsterlösung, das Richtige zu tun oder gefunden zu haben. Für mich ist das große Geschenk des Evangeliums schlicht und einfach die Ankündigung daß wir es nicht richtig machen müssen; wir müssen überhaupt nichts „richtig“ machen. Gott wird das nutzen, was wir ihm anbieten, was es auch immer sein mag. Was du Gott gibst – Gott wird es nutzen. Und es ist gleichgültig, ob dies etwas Richtiges oder Falsches ist. Entscheidend ist dein Angebot, deine Hingabe. Für mich ist dies die gnadenvollste und umfassendste Botschaft, die die Welt braucht. Darum sollten wir jeglichen dogmatischen, funktionalen Gebrauch des Enneagramms vermeiden, der die Betonung auf die technische Seite oder auf eine perfekte Methode legt. Es ist etwas für die ganz persönliche Einsicht und Hingabe, aber nicht dazu da, um meine oder deine Realität zu kontrollieren. Wenn Kontrolle im Spiel ist, glaube ich nicht, daß es aus dem Heiligen Geist kommt. Denn der Heilige Geist drängt uns zur Aufgabe von Kontrolle. Das ist mein Ratschlag.

Andreas: Also für mich ist das Wichtigste beim Umgang mit dem Enneagramm der Humor. Man darf das Enneagramm nutzen, auch ernstnehmen als ein wertvolles Instrument des Wachstums, der Umkehr. Das Enneagramm lehrt uns, über uns zu lachen. Und immer wenn dieses Lachen erschallt, bin ich sehr dankbar. Das Lachen (nicht das Auslachen!) ist ein Instrument der Barmherzigkeit mit sich selbst und mit anderen.

Richard: Wenn du so lachen kannst, wirst du frei.

in: EnneaForum 16, Oktober 1999, S. 6-11

Richard Rohr

Von der Freiheit loszulassen

Claudius Verlag, 7. Aufl. 2000, ISBN 3-532-62108-8

Richard Rohr

Hiobs Botschaft
Das Geheimnis des Leidens

Claudius Verlag, 6. Auflage 2016, ISBN 3-532-62250-5

Richard Rohr

Wer loslässt, wird gehalten
Das Geschenk des kontemplativen Gebets

Claudius Verlag, 10. Auflage 2016, ISBN 3-532-62263-7

Uwe Böschemeyer

Worauf es ankommt
Werte als Wegweiser

Piper München 2005, ISBN 3-492-24385-1

Uwe Böschemeyer

Wertorientierte Imagination
Theorie und Praxis

Hamburg 2000

Viktor E. Frankl

Ärztliche Seelsorge

Deuticke Verlag; 11. Aufl. 2005

Viktor E. Frankl

Der leidende Mensch

Huber Verlag, 3. Aufl., Bern 2005

Wolfram Kurz, Franz Sedlak (Hg.)

Kompendium der Logotherapie und Existenzanalyse

Verlag Lebenskunst, Tübingen 1995

Elisabeth Lukas

Lehrbuch der Logotherapie

Profil Verlag, 2. Aufl. 2002

Jörg Riemeyer

Die Logotherapie Viktor Frankls
Eine Einführung in die sinnorientierte Psychotherapie

Quell Verlag, 2. Aufl. 2002

Christoph Riedel, Renate Deckert, Alexander Noyon

Existenzanalyse und Logotherapie
Ein Handbuch für Studium und Praxis

Primus Verlag 2002

Jürgen Kriz

Grundkonzepte der Psychotherapie

Belz, 7. Aufl. 2014

Martin Buber

Der Weg des Menschen

Gütersloher Verlagshaus; 19. Aufl., 2001

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