Ich hatte versprochen, etwas über Resilienz zu schreiben. Seither ging ich mit dem Thema „schwanger“, doch es kamen kaum Ideen.
Da, an einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Fortbildungsveranstaltung erblickte ich auf dem Büchertisch gleich mehrere Bücher über Resilienz. Dies, obwohl das Thema der Veranstaltung ein ganz anderes war. Ist das ein Hinweis auf die grosse Bedeutung der Resilienz oder einfach darauf, dass dieses Thema derzeit ein „Hype“ ist?
Wie auch immer, ich nutzte den Umstand und blätterte in der Mittagspause etwas in diesen Büchern. Damit hatte ich zwei Fliegen auf eine Klappe: ich konnte Anregungen finden für meinen Artikel und gleichzeitig war ich beschäftigt, sodass ich nicht allein herumstehen musste, da ich die meisten anderen Teilnehmenden nicht kannte und ich grad nicht motiviert für Kontaktaufnahmen war.
Ich hätte natürlich ein Buch kaufen können. Es gab zwei mit lediglich ca. 100 Seiten. Doch dazu war ich zu geizig, wobei der „Zeitgeiz“, das Buch zu lesen, den finanziellen überwog.
Jedenfalls habe ich mir ein paar aufschlussreiche Seiten fotografiert und finde so einen Einstieg ins Thema.
Resilienz besteht einerseits aus Faktoren, die gegeben sind, wie etwa die (Epi)Genetik und Umstände, unter denen man gross geworden ist. So sind z.B. kognitive Fähigkeiten oder emotionale Stabilität Resilienzfaktoren, die mehr oder weniger gegeben sind. Auch Optimismus kann man nur begrenzt lernen und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit hängt zu einem guten Teil von den äusseren Umständen ab. Andere, wie Selbstwahrnehmung oder soziale Kompetenzen kann man lernen. Nach dem Glauben kann man sich „ausstrecken“; ihn zu erfahren ist dann ein Geschenk. Wir sehen also eine bunte Mischung aus Gegebenheiten, Entwicklungsmöglichkeiten, für die wir uns entscheiden müssen, und Gnade, welche unsere Resilienz bestimmen.
Manchmal denke ich, die FÜNF sei schon etwas benachteiligt. Erlebe ich doch die Welt automatisch als „Eindringling, der mich überwältigt und auslaugt. Die Welt verlangt mehr von der FÜNF, als sie bereit ist zu geben oder glaubt, geben zu können“ (Cron/Stabile).
Kein super Resilienzfaktor, bin ich versucht zu sagen. Doch halt, eine defensive Haltung schützt natürlich auch. Eine FÜNF ist sicher weniger Burnout gefährdet als die meisten anderen Muster. So hat alles zwei Seiten. Es gibt zwar kaum FÜNFEN in hohen Führungspositionen, anderseits, wenn man nicht ganz oben sein muss, um seinen Selbstwert zu stabilisieren oder irgend einem inneren Antreiber zu genügen, entlastet das sehr. Meine Fähigkeit zur nüchtern-distanzierten Beurteilung hat mir schon in manchen Lebenssituationen geholfen. Gut allein sein können, schützte mich vor ungesunden Abhängigkeiten.
Natürlich steigt bei jedem Muster die Resilienz, wenn wir uns auf den Integrationsweg machen. Für mich geschah und geschieht Wachstum vorwiegend über den Glauben bzw. aus der Gottesbeziehung heraus.
Kürzlich war ich an einer Exerzitienwoche. Da meditierte ich an einem Tag über die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda (Joh 5,1-9). Dieser Gelähmte, der schon 38 Jahre an dieser Heilquelle auf Heilung wartet, wird von Jesus gefragt: „Willst du gesund werden?“ – Die Antwort des Gelähmten, er habe niemanden, der ihn zum Wasser bringe – und dies während 38 Jahren – klingt nach Ausflucht. Plötzlich ging mir durch den Kopf, wenn Jesus jetzt vor mir stünde und mich fragte, „willst du gesund werden?“, würde ich dann sagen, „weisst du, meine Kindheit, mein FÜNFER-Muster …“. Nein! Ich würde sagen, ja, ich will gesund werden. Das war ein tiefes Erlebnis und ein spürbarer Schritt auf meinem Integrationsweg.
Dr. Walter Meili, FÜNF, Psychiater
Veröffentlicht im Enneaforum Nr. 61, Nov. 2023