Enneagramm und Träume

Andreas und die „Dämonen“

Meine erste nähere Begegnung mit Andreas war auf der JHV 1993: Hans Neidhardt stellte ihn mir damals als „alten Weggefährten aus Würzburger Tagen“ vor und wir unterhielten uns ein bisschen beim abendlichen Rotwein-Trinken. Zu einer engeren Zusammenarbeit intensiviert hat sich unsere Bekanntschaft aber erst sehr viel später – im Anschluss an die JHV 2008, auf der er die Tagungs-Gruppe in einem beeindruckenden Bibliolog mitnahm.
Wir frischten unsere Bekanntschaft damals wieder auf und Andreas lud mich ein, im Spirituellen Zentrum St. Martin in München Enneagramm-Vertiefungskurse zu halten. Er selbst besuchte diese eineinhalb-Tage-Seminare als engagierter Teilnehmer, der mit Ergänzungs- und Verbesserungsvorschlägen zu meinen Kursformaten nicht hinter dem Berg hielt. Irgendwann schlug ich ihm dann vor, ein gemeinsames Angebot zu kreieren, worauf er sich gleich begeistert einließ.
Als Einstieg konzipierten wir gemeinsam das „Seelenkind-Format“ von Sandra Maitri zu einer psychologisch-christlichen Ausdeutung um, die hervorragend in die Adventszeit passte: Am Entwicklungs- bzw. Trostpunkt des Enneagramms entdeckten die Teilnehmenden unserer Kurse ihre vitalen und unzerstörbaren kindlichen Wesensanteile und erlebten das manchmal wie eine Neugeburt. Mit der von Andreas (für eine Neuauflage seines Enneagrammbuchs) bearbeiteten Geschichte der „neun Sünden an der Krippe“ (Dietrich Koller) fanden diese Veranstaltungen immer einen berührenden Abschluss.
Bei Sandra Maitri geht es in der Bewegung zum Trostpunkt um einen transformatorischen Prozess: Dabei darf aus etwas Schwierigem (einem ungezogenen „inneren Kind“, das erst noch nachreifen muss) durch nährende eigene Zuwendung ein strahlender Wesensaspekt auferstehen, der bisher ein Schattendasein gefristet hat. Im Erforschen solcher „alchemistischer Prozesse“, wo aus unbearbeiteten Rohmaterialien am Ende schließlich doch Gold wird, entdeckten Andreas und ich eine gemeinsame Leidenschaft. Wir vermuteten, dass in der Bewegung zum Stresspunkt des Enneagramms ein ähnlicher Transformationsprozess möglich ist.
Auf diese Weise entstand noch ein zweites psychologisch-christliches Kursformat, das sich auch durch das buddhistische Chöd-Ritual inspirieren ließ. Mit anderen Religionen hatte Andreas keinerlei Berührungsängste. Im Gegenteil gelang es ihm immer, die dem Christlichen verwandten Tiefenaspekte herauszuarbeiten. In der Version des „Dämonen-Fütterns“ der buddhistischen Lehrerin Tsültrim Allione geht es im Kern darum, dass wir unsere Ego-Anhaftungen (Fixierungen) – hier als „Dämonen“ bezeichnet – nur wandeln können, wenn wir auf ihre Not mit der richtigen „Nahrung“ antworten. Andreas war besonders fasziniert von Abbildungen der so genannten „Hungergeister“. Das sind im tibetanischen Buddhismus Geister von Verstorbenen, die einerseits völlig abgemagert sind und andererseits einen sehr dicken Bauch als Symbol ihrer unersättlichen Bedürftigkeit haben. Vielleicht hat er in ihnen den Schatten-Aspekt der ZWEI erkannt, wo die uneingestandene eigene Bedürfnislage zu einem Ausgehungert-Sein führt, wenn ZWEI nicht bewusst wird, dass eigentlich sie selbst Zuwendung und Nahrung braucht.
Aus seinem unerschöpflichen Fundus von christlichen Geschichten und Lehren, steuerte Andreas alsbald ein passendes Pendant bei: Die Geschichte vom Wolf von Gubbio, den der Hl. Franz von Assisi der Legende nach zähmen konnte, indem er dafür sorgte, dass dieser nie mehr Hunger leiden musste. Mit einem Bibliolog zum „besessenen Gerasener“, Mk 5,1-13, der durch Jesus von seinem Dämon befreit wird, leitete er das Kursthema spielerisch ein. Auch mit den dunklen Kräften in uns selbst hatte Andreas keinerlei Berührungsängste: Er nannte sie beim Namen, begegnete ihnen furcht- und tabulos und war tief verwurzelt in dem Glauben, dass auch sie geheilt und erlöst werden können – durch göttliche Gnade.
Danke für viele kreative und inspirierende Stunden gemeinsamer Kursarbeit (2010-2014)!

Maria-Anne Gallen

Erschienen in: EnneaForum Nr. 60, Dezember 2022, Titelthema: „Wege zu mir und zu Gott“

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