Wie uns das Enneagramm durch die Wandlungszeit begleiten kann – Erfahrungsbericht einer Gestalt-Therapeutin
von Heike Brombach

Um mit den Worten meiner Großmutter zu sprechen: „Die Spatzen pfeifen es von den Dächern!“. Der Wandel ist allgegenwärtig! Wenn wir wollen, erkennen wir es in Politik und Gesellschaft, in den Medien und an den zunehmenden Herausforderungen unserer bisher so geordneten Infrastruktur. Veränderungszeiten halten uns wach und lebendig, lassen uns kreative Lösungen finden.
Und gleichzeitig möchten wir unseren wohl geordneten Alltag und unsere Sicherheit erhalten. Wir merken kurz auf bei der nächsten Katastrophenmeldung und schlafen dann wieder ein an unseren Gewohnheiten. Die Krise ist meist noch weit genug entfernt und wir kommen doch gut zurecht. Wenn da nicht auch diese persönlichen Veränderungen wären. Plötzlich funktioniert die Familie nicht mehr so gut. Vielleicht leidet ein Familienmitglied an Ängsten, es gibt Probleme im Beruf oder die Eltern brauchen plötzlich Hilfe. Und womöglich spüren wir selbst eine neue Art von Unbehagen, nervöser Unruhe oder eine Unzufriedenheit mit unserem so gut eingerichteten Lebensalltag.

Der Wandel ist allgegenwärtig. Und je nach biografischer Phase trifft er uns ganz persönlich, von innen heraus mit bisher unbekannten Befindlichkeiten oder durch äußere Ereignisse, die uns verunsichern. Mit diesem Artikel möchte ich durch meine eigenen Erfahrungen ein Beispiel geben, wie die Weisheit des Enneagramms uns durch diese Wandlungszeit begleiten kann.

Mein persönlicher Weg
Meine Unruhe begann bereits im Jahr 2010. Meine Kinder waren noch klein, die Ehe konfliktreich und der Alltag fordernd. Durch meine gute Struktur – ich ordne mich der Ennea-Qualität 1 zu, funktionierte ich über lange Zeit – trotz einiger depressiver Episoden und der Diagnose Fibromyalgie. Zuletzt konnte ich mich jedoch an manchen Tagen vor Körperschmerzen kaum noch bewegen. In meinem Leben musste sich etwas ändern und die Rettung kam mit zwei Schicksalsbegegnungen:
Zufällig lernte ich Doris Wetzig kennen; durch sie habe ich die Ennea-Ausbildung beim ÖAE gefunden. Hiermit begann der erste Schritt zu einer andauernden immer weiter vertiefenden Selbsterkenntnis. Ich war inspiriert, erschüttert, begeistert und verzweifelt; und ich erkannte: das ist mein Weg in Richtung Befreiung von alten Prägungen.
In dieser Zeit rückte mein Wunsch nach beruflicher Entwicklung in den Vordergrund. Bei meiner Suche nach einer therapeutischen Ausbildungen, lernte ich 2013 meine Lehrer zur gestalttherapeutischen Ausbildung kennen (https:// institut-transpersonale-gestalttherapie.de). Mit der Hier-und-Jetzt-Therapie nach Fritz Perls räumte ich in über zwei intensiven Jahren mit vielen meiner gut einsortierten Blockaden auf. Diese persönlichen Wandlungsjahre waren erhellend, aufweckend, lebendig, aber auch tränenreich und voller dunkler Nächte. Wie schicksalslenkend diese Begegnungen (Enneagramm und Gestalt) für mich waren zeigt sich in vollem Ausmaß besonders in diesem Jahr. Aber dazu später mehr.
Über mehr als fünf Jahre erforschte ich mein Inneres und die erkenntnisorientierten und psychologischen Entwicklungslehren. Unmerklich wuchsen die Enneagramm-Lehre und die Gestalttherapie in mir zu einer neuen Kraft zusammen. Ich wurde immer wacher, lebendiger und gesünder. Im Jahr 2018 gründete ich als Heilpraktikerin für Psychotherapie meine eigene Praxis. Damals dachte ich angekommen zu sein. Heute ist mir bewusst, dass Entwicklung stattfindet, so lange wir leben.

Im Jahr 2020 wurde mir innerhalb weniger Wochen klar, dass ich nun auch meine persönliche Lebenssituation ändern muss. So traf ich die schwere Entscheidung und beendete meine Ehe und verließ das gemeinsame Haus und die eingerichteten Alltagsabläufe. Mein Leben sortierte sich neu, nicht ohne Mühen, doch mit vielen kreativen Impulsen. Unter anderem auch durch meine Erfahrungen in der Ehe, entwickelte ich in dieser Zeit mein Kurs-Konzept für die Enneagramm-Begleitung von Paaren. Ich hatte verstanden, dass der Weg zur Liebe nicht einer Form untergeordnet werden kann. Es war schmerzlich, doch heute ist mein geschiedener Mann ein sehr guter Freund. Wenn ich auf meinen Weg zurück blicke und die Erfahrungen aus meiner Arbeit mit Paaren hinzunehme, erkenne ich deutlich wie das Enneagramm uns helfen kann, Wandlungszeiten zu bewältigen.

Wie hat mir das Enneagramm konkret geholfen?
Seit ich das Enneagramm kenne, lebe ich damit. Zunächst konnte ich meine vermeintlichen Stärken und Schwächen bewusster wahrnehmen; nur um später festzustellen dass sich der Blick darauf mit jeder neuen Erfahrung erweitert. Meine vermeintlichen Stärken können mich auch knechten. Und meine vermeintlichen Schwächen erwiesen sich oft als spät erkannte Kräfte. Auch habe ich mich als Ennea-1 darin erfahren, wie ich persönliche Krisen sowohl über den Stresspunkt 4 als auch über den Trostpunkt 7 bewältigen kann. Mit Hilfe von Meditation, Körperarbeit und kreativen Methoden konnte ich immer tiefer einsteigen. Als ich mich der Kreisdynamik widmete erkannte ich die Vielseitigkeit meiner persönliche Ausprägung zu jeder der neun Qualitäten.

Wie bin ich mit Selbstlosigkeit vs. Stolz?
Wie bin ich mit Wirksamkeit vs. Manipulation?
Wie bin ich mit Echtheit vs. Bühne?
Wie bin ich mit Durchdringung vs. Geiz?
Wie bin ich mit Vertrauen vs. Angst?
Wie bin ich mit Gelassenheit vs. Maßlosigkeit?
Wie bin ich mit Stärke vs. Kontrolle?
Wie bin ich mit Toleranz vs. Erstarrung?
Wie bin ich mit Gewissenhaftigkeit vs. Zwanghaftigkeit?
(Anm.: Die Begriffe zu jeder Qualität können vielerlei sein.)

Wenn wir mit den Qualitäten gehen, meditieren, reflektieren, uns mit anderen dazu austauschen, dann erkennen wir den Facettenreichtum unserer Fixierung, unserer Einzigartigkeit und gleichzeitig können wir unser persönliches Enneagramm als Ganzheit erleben.

In schwierigen Zeiten stelle ich mir die Frage: Wo ist gerade die Falle hinter meiner typischen 1er-Falle? Immer häufiger scheine ich in der Not eine Wahl zu haben: Ich muss nicht mehr so lange schmerzlich leiden (4) oder in der Maßlosigkeit innerlich verschwinden (7). Ich frage mich: Was brauche ich und was braucht die Situation jetzt von mir? Und wenn ich Stärke brauche, setze ich mich mit der 8 in die Meditation. Meist jedoch brauche ich den Zugang zu meinem wahren Gefühl, das ich in der 4 finden kann – machmal setze ich das was die Not in mir ist in eine Art meditatives Tanzen um und komme wieder bei mir Selbst an. Ich muss nicht mehr hilflos in der Verzweiflung hängen bleiben.
Wichtig für mich war es zu erkennen, dass ich aus keiner gemeisterten Situation ein „Rezept“ für die Zukunft machen kann. Beim nächsten Stress hilft vielleicht das Tanzen nicht … dann beginnt die Suche neu und es zeigt sich etwas anderes.

In meiner Arbeit mit Paaren erkenne ich immer mehr, wie jeder Mensch sein eigenes Enneagramm hat, seine ganz besondere Art die Qualitäten zu leben. Und wie jede echte menschliche Begegnung uns erweitert und neue Facetten in uns weckt. Für mich ist das Enneagramm ein nie endender Weg zu immer mehr Bewusstheit, der mich lehrt die Herausforderungen des Lebens so gut es geht zu bewältigen. Und gerade in der aktuellen gesellschaftlichen Wandlungszeit schützt es mich vor zu großen Irritationen.
Auch für meine therapeutische Arbeit finde ich durch die Dynamik der Ennea- Qualitäten oft eine hintergründige Leitlinie, durch die ich den Klienten wirksamer begleiten kann. Es braucht die Wahrnehmung: Um was geht es jetzt gerade? Zeigt sich eine bestimmte Qualität? Wenn ja, zeigt sich über die Triaden- oder die Muster-Dynamiken ein nächster hilfreicher Schritt oder eine richtungsweisende Frage. Dafür muss ich nicht die Ennea-Zuordnung des anderen kennen und der andere Mensch braucht keine Erfahrung mit dem Enneagramm. Die Qualitäten zeigen nach meiner Erfahrung in den Dynamiken eine tiefe Wahrheit.

Mein Fazit: Das Enneagramm bereichert mein Leben und mein Wirken als Begleiterin Hilfe suchender Menschen tagtäglich. Es legt mich nicht fest. Es schenkt mir die Freiheit der Weiterentwicklung und Bewusstheit, und dient als Wegweiser zu einem wunderbaren Ganzheitsempfinden.

Zuletzt möchte ich noch erzählen, was so schicksalslenkend an der Verbindung von Enneagramm und Gestalttherapie für mich ist. Vor einigen Monaten kam der Hinweis meines Lehrers Dr. Rajan Roth: „Es ist an der Zeit. Wie wäre es, wenn Du eine Weiterbildung, eine Jahresgruppe anbietest?“ Das traf mich wie ein Blitz, spontane aufgeregt-freudige Ängstlichkeit. Ich verbrachte eine Woche mit dem Werk von Claudio Naranjo: „Gestalt – Präsenz, Gewahrsein, Verantwortung – Grundhaltung und Praxis einer lebendigen Therapie“. Und daraus formte sich der Entwurf für die Weiterbildung „EnneaGestalt“.
Claudio Naranja war bereits Gestalttherapeut als er das Enneagramm entdeckte und seine Werke lehren mich immer weiter und tiefer. Rückblickend fühle ich mich seit 2010 durch das Enneagramm innerlich geführt und die Gestalttherapie schenkt mir die Lebendigkeit, wenn ich wieder im Kopf festhänge.

Der Flyer für die Weiterbildung EnneaGestalt 2025 ist fertig und die ersten Anmeldungen trudeln ein. Ich bin sehr dankbar für die Weisheit des Enneagramms und freue mich darauf, diesen Weg gemeinsam mit anderen Menschen zu teilen und zu vertiefen.

Neelam Heike Brombach
Lindlar, im August 2024

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